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Verborgene Gegenwart

Ein Mann mittleren Alters stand an einem Geländer in der Sonne. Er schien zu warten. Ich sprach ihn an. Er sprach kein Deutsch. So kamen wir über Englisch miteinander ins Gespräch. Er kam aus der Ost-Ukraine. Schnell vertraute er mir. Seine Frau und ihre kleine Tochter stießen zu uns. In der Ukraine hatten beide studiert, geheiratet und sich dann ein kleines Eigenheim mit einem wunderschönen Garten aufgebaut. „Wir sind in der Ukraine am Punkt Null gestartet und hatten es so schön. Jetzt ist alles zerstört! Meine Frau wird da noch nicht mit fertig!“ Ich lud sie in unsere Kirche ein, wo Flüchtlinge auf eine große Holztafel die Karte der Ukraine gemalt haben. Auf kleinen Zetteln können sie dort die Namen ihrer Lieben hinterlassen. Abend für Abend bete ich für all diese Menschen. Die Frau nahm sich sofort einen Zettel. Mit Tränen in den Augen schrieb sie all die Namen ihrer Lieben auf und legte ihn in die Box – ein sehr emotionaler Augenblick. Ich lud die kleine bei uns gestrandete Familie ein, am Hochaltar das Bild der Emmausjünger anzuschauen. Sie kannten die Geschichte nicht. „Spürt ihr das tiefe Vertrauen und die Liebe unter uns in diesen Augenblicken?“ fragte ich behutsam. Die Frau nickte. „Und ich spüre einen tiefen Frieden“, sagte der Mann. Ich schaute die drei an und sagte zu ihnen: „Wo die Liebe ist, da ist Gott gegenwärtig. Er ist uns jetzt ganz nah!“ Unsere Augen füllten sich mit Tränen.

Wie in einer Hand geborgen!

Ein 13 jähriges Mädchen wurde mir spät abends wegen akuter Bauchschmerzen vorgestellt. Ich traf auf ein ungemein reifes, aber sehr schmerzgeplagtes Mädchen. Mir war sofort klar, dass ich sehr behutsam vorgehen musste, um keine Ängste auszulösen. Schnell war mir klar. Ich musste das Mädchen noch in der Nacht operieren.. Es gelang mir eine so gute Beziehung zu dem Mädchen aufzubauen, dass sie - gemeinsam mit ihrer Mutter - in die notwendige OP einwilligte, ohne panisch zu werden. Der durchaus nicht leichte Eingriff gelang gut. Am anderen Tag schon konnte sie nahezu beschwerdefrei entlassen werden. Nach einer Woche kam sie erneut mit ihrer Mutter zu mir, um sich zu bedanken! Sie schenkte mir einen Schlüsselanhänger in der Form einer Hand, die ein Kind in sich behütet. Das junge Mädchen sagte, es sei ihr so wichtig, mir dieses Symbol zu schenken, da sie sich bei mir genauso sicher und geborgen gefühlt habe. Mutter, Tochter und ich lagen uns mit Tränen der Rührung in den Armen!

Ein gebendes Herz

Eine junge Studentin, die außerhalb ihres Landes studieren wollte, hatte um Unterstützung gebeten. Ich schrieb einen kleinen Artikel über ihr Vorhaben und veröffentlichte ihn in den Pfarrnachrichten. Nach einer Messe kam eine ältere Frau mit osteuropäischen Wurzeln, die in einer tiefen Beziehung mit Gott lebt und übergab mir einen Briefumschlag. Als ich ihn öffnete fand ich eine hohe dreistellige Summe Geld für die junge Studentin. Beim nächsten Treffen sagte ich der älteren Frau: „Ihre Gabe für die Studentin hat mein Herz sehr berührt!“  Sie erwiderte: „Ich weiß, wie es ist, Pläne zu haben und sie nicht realisieren zu können, weil man nichts hat. Ich möchte, dass es der jungen Frau nicht so ergeht!“

Über alle Grenzen hinweg!

Wir waren einander ein einziges Mal begegnet. Unsere Lebenslinien trennten 20 Jahre. Die brüderliche Begegnung war uns tief im Herzen geblieben. Vom ersten Augenblick verband uns ein tiefes und ehrliches Miteinander – getragen von einem ehrlichen Respekt und einer großen Wertschätzung für das Leben und das Engagement des anderen. Jahre hörten wir nichts mehr voneinander. Dann kam ein Anruf. „Ich bin vor kurzem 80 Jahre alt geworden. Ich war immer gesund. Doch vor kurzer Zeit ist eine schwere Krankheit bei mir diagnostiziert worden. Mir steht eine schwere Operation bevor. Als Religionslehrer habe ich viel über die Grenze des Lebens gesprochen. Jetzt zeigt sich mir, was wirklich trägt. Darf ich Dich um Dein Gebet bitten!“ Ganz betroffen von der plötzlichen Botschaft, sagte ich es gern zu. „Das bedeutet mir sehr viel!“ hörte ich mein Gegenüber sagen. „Vielleicht hören wir uns in einigen Monaten wieder am Telefon!“ sagte er. „Egal was wird“, so ließ ich ihn wissen, „wir sind verbunden – über alle Grenzen hinweg!“ – „Das tut so gut zu wissen!“ Dann verabschiedeten wir uns.

Leben für den Frieden!

Für eine Mutter, die mit ihrem Kind, aus einem fernen Land als Flüchtling zu uns gekommen war, hatte ich zwei Fahrräder besorgt, damit sie mobil sind. Am späten Sonntagabend erreicht mich eine Botschaft von ihr: „Wir sind gerade von einer Fahrradtour nach Hause gekommen. Es war so aufregend. Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese wunderbaren Fahrräder, wir hatten eine tolle Zeit. Es ist so gut, Zeit mit seinem Kind zu verbringen. Unsere Zeit ist eines der größten Geschenke, die wir unseren Kindern machen können. Wenn Liebe und Harmonie zwischen Eltern und Kindern herrschen, strahlt das auf die ganze Familie aus und sorgt für ein liebevolles, zuverlässiges und glückliches Umfeld. – Danke!“

Fang an zu lieben!

In einer Mail darf ich lesen: Meine beiden Kinder sind in ihren Berufen angekommen. Ich bin so stolz auf sie. Vor einigen Jahren kam ich einmal zu Dir. Meine Seele war dunkel und ich suchte das Licht. Auf meine Frage, was ich tun könnte, sagtest du zu mir:  „Fang an zu lieben!" Ich hab mir das zu Herzen genommen und ich habe angefangen, ehrlich und richtig zu lieben. Von diesem Augenblick an füllte sich mein Herz mit Licht. Ich bin das, was ich heute bin, durch diese vier Worte geworden: „Fang an zu lieben!“ Ich bin sehr dankbar.

Geteilte Augenblicke – Shared moments

Auf einer längeren Wanderung machte ich Rast auf einer Bank. Drei Ehepaare kamen mit einem kleinen Hund und gesellten sich zu mir. Wir begannen ein lustiges Gespräch und freuten, einander kennenlernen zu können. Ich hatte noch ein drei Fruchtschnitten in meinem Rucksack, für jedes Ehepaar eins. Ich gab sie ihnen mit der scherzhaften Bemerkung: Ehe würde ja auch bedeuten, das Leben zu teilen. Gern nahmen sie die kleine Gabe an. Am Ende bedankten wir einander, uns für diesen kurzen Augenblick begegnet zu sein. „Der bleibt bestimmt in meinem Herzen!“ ließ mich eine der Wanderinnen wissen, als ich weiterzog.

On a long hike, I stopped for a rest on a bench. Three couples came with a small dog and joined me. We started a funny conversation and were happy to get to know each other. I had three fruit slices in my backpack, one for each couple. I gave them to them with the joking remark: marriage would also mean sharing life. They gladly accepted the small gift. At the end, we thanked each other for having met for this short moment. "I'm sure it will stay in my heart!" one of the hikers told me as I moved on.

Nur ein Apfel

Während meiner Ferien war ich frühmorgens zu einer Wanderung aufgebrochen. Auf dem Wanderparkplatz hatte ich ein Ganztagesticket gekauft. Als ich am späten Vormittag zurück kam, währte das Ticket noch einen halben Tag lang. Ein jüngeres Ehepaar kam und parkte ihren Wagen neben dem meinen. Ich ging auf sie zu und fragte, ob ich ihnen mit meinem Parkticket eine Freude bereiten könne. Erstaunt schaute mich die Frau an und nahm das Ticket gern entgegen. „So was geschieht ja heute nur noch ganz selten, dass da jemand so aufmerksam ist!“ ließ mich die Frau wissen. Dann ging sie zum Auto, holte zwei Äpfel und gab sie mir: „Die sind für Sie. Sie sind frisch aus unserem Garten!“ Dann verabschiedeten wir uns. Heute nun – Wochen nach dem Urlaub – fiel mein Blick auf diesen Apfel. Voller Freude nahm ich ihn zur Hand und aß ihn. Meine Gedanken wanderten zurück zu dem Augenblick dieser schönen und ehrlichen Begegnung und ich spürte eine tiefe Freude im Herzen.

Regen bringt Segen

Etwas leichtsinnig, ohne Regenkleidung, ging ich bei unsicherem Wetter aus dem Haus. Ich vertraute darauf, dass es nicht regnen würde. Langsam tauchten immer dunklere Wolken auf, die sich in einem Sturm mit peitschendem Regen entleerten. In einer offenen Garage fand ich einen trockenen Unterschlupf. Im Trockenen betete ich für die vielen Menschen, die im Tropenregen in einfachen Zelten überleben mussten, die in Pakistan mit dieser furchtbaren Überschwemmung zurechtkommen mussten. In der halben Stunde bis zum Ende des Sturms fand ich in ein tiefes Gespräch mit Gott. Ich bat Ihn, dass ich in Schwierigkeiten oder Problemen, nie an Seiner Liebe zweifeln möge. Als ich nach Hause ging, staunte und freute ich mich über einen wunderschönen Regenbogen, ein Zeichen göttlicher Liebe zu mir und zu unserer Welt.

Geteiltes Leben in dunkler Zeit

Aus den Nachrichten hatte ich erfahren, dass die Luftangriffe in der Ukraine wieder massiv zugenommen hatten. Ich kontaktierte mehrere go4peace-Freunde in dem Land, um sie unsere Verbundenheit spüren zu lassen. Seit Monaten wusste ich um ihre Angst. Daraufhin erreichte mich eine Antwort, die mich sehr bewegt: „Weißt Du, es gibt Momente, da scheint alles zusammenzu-brechen. Ich versuche, eine Aufgabe zu beenden und ein Treffen vorzubereiten, aber ich habe keine Lust. Meine ganze Aufmerksamkeit wird von den Nachrichten in Anspruch genommen, die eintreffen. Es sind wieder Raketen vom Kaspischen Meer abgefeuert worden. Schockstarre. Ich versuche, Verwandte und Bekannte anzurufen. Und ich werde sehr wütend, wenn keine Antwort kommt. Der Verstand will nicht akzeptieren, dass der Mobil-Dienst nicht gut funktioniert. Und dann frage ich in all dem, was Gott will, was er von mir will. In unserem go4peace-Monats-Kommentar vom Oktober lese ich: ‚Nicht lau sein, sondern eine Entscheidung treffen!‘ So entscheide ich mich für kleine Schritte. Ich beschließe, meine  Mitarbeiter zu kontaktieren und sie zu bitten, aus Sicherheitsgründen zu Hause zu bleiben. Ja, immer neu kleine Entscheidungen treffen, vorwärts gehen, Gott bitten, auch wenn ich ihn oft nicht spüre, glauben, dass er sich in den Menschen und Situationen des Tages zeigen wird… Zwei Tage unter den Raketen machen mich wahnsinnig, aber ich bleibe auf dem Weg. Danke für all Deine Verbundenheit! Ich brauche sie. Ich spüre mit den Sinnen meiner Seele, ER, Jesus, ist unter uns, will immer neu geboren werden. Das trägt mich sehr! Danke!“

Im Kleiderladen

Fast wöchentlich erscheint eine sehr alte ukrainische Frau in unserem ehrenamtlich geführten Kleiderladen. Sie schaut vorbei, auch wenn sie gar nichts braucht. Wir verständigen uns meistens nur über Mimik und Gestik. Sie spürt, dass sie total willkommen ist. Obwohl sie in ihrem hohen Alter alles zurücklassen musste und miterleben muss, wie ihre Heimat zerstört wird, strahlt sie uns immer glücklich an und erzählt ganz viel. Dann nimmt sie uns in den Arm und wir freuen uns jedes Mal sehr, wenn sie kommt. Es ist nebensächlich, ob wir irgendetwas verstehen oder nicht. In den Augenblicken unserer Begegnung ereignet sich eine Liebe zwischen uns, die stärker ist als jedes Leid. Jesus ist in diesen Augenblicken wirklich da. Die strahlenden Augen der alten ukrainischen Frau nehme ich dann im Herzen mit nach Hause. Diese tiefe Liebe, die sich zwischen Menschen verschiedener Nation und Generation schenkt, ist durch keine Rakete zerstörbar.

Danke!

Ich hatte noch ein wenig Zeit und wollte sie gern jemandem schenken. Ich wusste um einen Ort, wo sich nachmittags ukrainische Flüchtlinge trafen. Ich gesellte mich zu ihnen. Ein junges Ehepaar fiel mir auf. Sie standen mit einem kleinen Kind am Rand und schienen ein wenig scheu. Ich gesellte mich zu ihnen. Die Verständigung war nicht leicht. Immer wieder musste ein Übersetzungsprogramm auf dem Handi helfen. Die Frau war mit dem kleinen Kind schon über sechs Monate in Deutschland, der Mann erst kürzlich aus den russisch gewordenen Gebieten geflohen. Er mühte sich, von sich und seiner Situation zu erzählen. Er war richtig glücklich, jetzt mit seiner Frau und kleinen Tochter in Sicherheit zu sein. Die drei hatten entschieden, in unserem Land zu bleiben. Als ich mich nach einer guten Stunde verabschiedete, tippte der Mann einen ukrainischen Satz in sein Handy. Übersetzt las ich: „Danke, dass Du bei uns geblieben hast und uns Deine Zeit und Deine Liebe geschenkt hast!“

Fortsetzung

Früh morgens schon saß ich im Frisörshop. Ich war der erste Kunde. Es war noch ruhig. Die Frau, die mich bediente, war wohl mit dem linken Bein aufgestanden. Alles schien schwer und alle Themen, die sie im Herzen hatte, waren belastend: Corona, Energiekrise, Krieg, Ungerechtigkeit, Angst vor der Zukunft… Was kann ich tun, um sie aus diesem dunkeln Loch heraus zu holen, fragte ich mich. Mir kam die Erfahrung mit den Zwiebeln vom Vortag in den Sinn. Einer inneren Stimme folgend war ich zu eine ukrainischen Familie aufgebrochen und hatte ihnen – unerwartet eine Kiste voller Kartoffeln, Zwiebeln und Äpfeln vorbei gebracht. Die Mutter dieser Familie war davon so berührt gewesen, hatte sie doch am Morgen alle ihre Zwiebeln einer befreundeten Familie gegeben, die dringend welche brauchten. Und dann stand ich da mit all den Früchten der Erde. „Boh, das ist ja toll. Ich bekomme gerade eine Gänsehaut!“ hörte ich meine Friseuse sagen. „Und so können wir jeden Augenblick mit dem Licht der Liebe füllen!“ fügte ich hinzu und schaute sie an. „Stimmt, danke fürs Erzählen. Das hat meinen Tag aufgehellt. Jetzt geht’s anders weiter. Nochmals Danke!“ Als ich ihr noch ein kleines Trinkgeld gab, strahlte sie. Mit diesem Strahlen beschenkt verließ ich den Shop.

Konkreter ging es nicht!

Mein Handy lässt mich wissen, dass eine Sprachnachricht aus Südosteuropa angekommen ist. Neugierig höre ich hinein. „Ich muss dringend eine Erfahrung mit Dir teilen!“ darf ich da hören. „Du weißt, wie sehr ich mit den täglichen Mottos lebe. Ich übersetze sie in meine Muttersprache und gebe sie in meinem Land täglich an viele Menschen weiter. Heut war ja das Motto: ‚Fang wieder neu an! - Start again!‘ Und das passte mal wieder genau in meine Lebenssituation. Mir ist eine neue Arbeitsstelle angeboten worden, von der ich noch nicht genau weiß, was sie beinhaltet. Da ich auf meiner jetzigen Stelle auch noch nicht so lange arbeite, war ich mir sehr unsicher, ob es dran ist, dem neuen Angebot nachzugehen. Und dann kam das Motto und ich wusste sofort: Es ist für mich! Wag Dich und mach Dich neu auf den Weg! Danke von Herzen!“

Hab ein offenes Herz!

Es war ein Tag voller Hiobsbotschaften. Und vieles, was ich mir vorgenommen hatte, funktionierte nicht, die Geschäfte übervoll… Ich spürte meine Grenzen. Mitten in einem Geschäft blieb ich hinter einem Regal stehen und fragte mich nach dem Tagesmotto: „Hab ein offenes Herz!“ – meins war gerade in der Gefahr, sich zu verschließen. Ich entschied mich, den negativen Gefühlen keinen Raum zu geben, sondern jeweils im Augenblick offen für das Leben zu sein. An der Brottheke sagte eine junge Verkäuferin gedankenverloren zu sich selbst: „Eigentlich müsste ich auch mal was Trinken!“ – „Auch das noch in dem ganzen Trubel!“ bemerkte ich scherzhaft. Sie schaute auf und lächelte. Nachdem ich bezahlt hatte, rief sie mir nach: „Danke!“ – Da ich in dieser Bäckerei ein besonderes Brot, das ich für jemanden kaufen sollte, nicht bekommen hatte, zog ich weiter. In der nächsten Bäckerei fand ich das, was ich brauchte. Beim Bezahlen hatte ich nur einen 50 €-Schein für das Brot zur Hand. Ich ließ die Verkäuferin wissen: „Tut mir leid, aber ich kann nur mit diesem großen Schein bezahlen!“ und schaute sie dabei an. „Kein Problem, das kriegen wir schon hin!“ Dann rechnete sie mir das Geld in vielen kleinen Scheinen vor. „Sie hätten auch Mathematikerin werden können!“ scherzte ich. Ihre Antwort: „Das mach ich dann im Nebenjob!“ Lächelnd verabschiedeten wir uns. Als ich wieder zu Hause war, kam die nächste schwere Nachricht, aber mein Herz war frei, um sie aufzunehmen.

Richtet einander auf!

"Bitte bete für einen kleinen Jungen meiner Schule", las ich in einer Mail. Und dann erschreckte mit folgende Erfahrung: „Die Tür eines Klassenraumes unserer zweiten Schuljahre stand während der Frühstückspause auf. Diese Klasse unterrichte ich selber nicht. Ich hörte ein Schluchzen und ging hinein. Ein Junge erzählte mir völlig aufgelöst, dass sein Mitschüler Markus ihn geschlagen habe. Ich war von dem Ausmaß der Gewalt geschockt, die in dieser Alltagsstufe absolut selten ist. Der schluchzende Junge hatte eine geschwollene Backe und seine Lippe war aufgeplatzt und blutig. Ich habe ihn getröstet und die Verletzung notdürftig versorgt. Als ich mit Markus darüber reden wollte, sah er durch mich hindurch - starr, wie erfroren. Seine Augen schienen absolut leer. Das hat mich bis ins Mark getroffen. Er ist doch erst sieben Jahre alt. Meine Kollegin erzählte mir, dass der Kleine kein richtiges Zuhause hat. Eine Pflegefamilie wurde nicht gefunden. Im Heim fühlt er sich nicht zu Hause. Er weiß nicht, wohin mit seiner Verlassenheit und Verzweiflung. Wahrscheinlich gibt es niemanden, der ihn aufrichtig liebt. Das ist so furchtbar traurig.“

Zukunft tat sich auf

Bei unseren letzten Telefonaten hatte ich gespürt, wie schlecht es ihm ging. Ich merkte: Er braucht einen Bruder. So bin ich in der Früh aufgebrochen und war nach 900 Kilometern bei ihm in Tschechien. Ich kam in das alte Haus, in dem er nun wohnen musste und fiel fast um vor Schock. Das Dach total undicht. Im Erdgeschoss nur Chaos. Herumstehende Schränke, Tische und Stühle. Es war eiskalt. Es pfiff durch die Fenster. In drei  Räumen Meter hohe Stapel mit unendlich viel Papier und Büchern... Keine Küche, keine  Spüle, keine Waschmaschine und alles dreckig. Im ersten Stock lagen hunderte Kreuze und dunkle alte Bilder und 1000sende von Büchern... Es war kalt und muffig, ekelig... und in all dem musste er leben.
Er war wie gelähmt. Ich kannte ihn so nicht. Mein Kaputt-Sein war sofort verfolgen und wir begannen zu überlegen, zu planen und aufzuräumen. Nach über 24 Stunden Arbeit war viel geschehen. Für abends hatten sich Jugendliche angesagt. Mein Mitbruder hatte noch Messe. Ich bin - unter dem Vorwand einige Anrufe machen zu müssen - nicht mitgegangen, sondern hab weiter gearbeitet, um für den Besuch der Jugendlichen alles schön zu machen. Und dann kam Tomas zurück. Er hatte Tränen in den Augen, als er das Zimmer sah. Es war zu einem Zuhause für ihn geworden. Dann kamen die jungen Leute. Sie spürten, was geschehen war. Wir saßen in der kleinen Runde und begannen total einfach zu erzählen. Im Nu war ein Klima da, als würden wir uns schon ewig kennen.

Es beginnt im ganz Kleinen

Die Tage waren voller Arbeit. Ein Treffen mit einer größeren Gruppe stand an. Ich war gebeten, dort etwas von den go4peace-Aktivitäten in der Ukraine zu erzählen. Gerade am Vortag hatten wir begonnen, das Projekt „Generatoren für die Ukraine“ zu lancieren. Wegen der vielen Arbeit bohrte die Frage in mir: Sollst Du fahren oder absagen? Ich entschied mich: „Ich fahre hin, um zu lieben!“ Es ergaben sich viele kleine Gespräche in großer Dichte und Ehrlichkeit. Dann erzählte ich von der Freundschaft zu einem ukrainischen Priester. Ich erzählte, wie aus notvollen und tränenreichen Augenblicken am Telefon jede Aktion geboren worden war: 6 Feldküchen für die Ukraine, ein Kinderdorf für die Ukraine, das Projekt „Miteinander“ und nun auch das Projekt „Generatoren für die Ukraine“. Immer neu hatte ich in den Augenblicken, als die Ideen aufkamen, den Eindruck, Jesus klopft in den Notleidenden an die Tür Deines Herzens. So war die Entscheidung jedes Mal gefallen, diese Wege zu gehen. Gebannt hörten die Teilnehmer des Treffens zu. Am nächsten Tag ein Anruf: „Wir waren so angerührt, dass wir uns als Familie entschieden haben, die Kosten für einen Generator zu übernehmen!“ Kurz danach eine erneute Mail: „Und meine Schwiegermutter hat sich entschieden, das auch zu tun!“ Direkt nach dem Start der Aktion hatte auch schon ein mir unbekannter Mann angerufen und mich wissen lassen: „Mit unserer Pfarrei übernehmen wir die Kosten für einen Generator!“

Ungeahnte Wege

Vor Jahren hatte sie an der Firmvorbereitung in unserer Pfarrei teilgenommen. Ganz lose hatte sich der Kontakt gehalten. Jeden Morgen bekam sie das Tagesmotto via SMS zugestellt.  Mittlerweile hatte sie ihre Berufsausbildung erfolgreich beendet und arbeitet als Polizistin in einer Stadt fern ihrer Heimat. Unvermutet musste ich an sie denken. So schickte ich ihr eine herzlichen Gruß via WhatsApp. Wenige Augenblicke später kam eine Antwort. Sie ließ mich wissen, wie froh sie war, dass der Kontakt auch über die Firmung hinaus gehalten hatte. „Und das soll auch in Zukunft so bleiben! Ich verstehe mich total gut mit meinen Kolleg*innen. Ich bekomme ja jeden Tag die Kurzimpulse aus dem Evangelium. Ich teile sie mit all meinen Kolleg*innen an meiner Arbeitsstelle. Das hilft uns sehr!“

Schweigend in der Dunkelheit

Spät abends erreicht mich eine WhatsApp Nachricht. „Darf ich Dich um das Gebet für den Vater meines Freundes bitten? Er ist in den heftigen Kämpfen um Bachmut gestorben.“ Ich bin gerade in der Kirche und stelle in der Dunkelheit eine Kerze für ihn auf und schicke sie als Foto nach Kiew. Am nächsten Tagen bereite ich mit einer jungen Mutter den Nikolausabend in der orthodoxen Tradition für die Kinder der Ukraine in unserer Stadt vor. Ich erzähle ihr von der abendlichen Botschaft. Sofort beginnt sie mir all die Namen derer zu nenne, die schon aus ihrer Verwandtschaft gestorben sind. Schweigend sitzen wir ein paar Augenblicke da, mit Tränen in den Augen. Nachmittags verteile ich ein paar Weihnachtsbäume. Ich begegne einer Mutter, die mit drei Kindern aus der Ukraine bei uns angekommen ist. Auf die Frage, ob sie einen Weihnachtsbaum wolle, schüttelt sie den Kopf: „Dieses Jahr sind wir nicht in Weihnachtslaune! Frag meine Kinder.“ Als ich sie später frage und sie sich mit ihrer Mutter besprechen, lehnen auch sie das Angebot ab: „Dieses Jahr nicht!“ Während sie das sagen, schaue ich in tieftraurige Augen. Was sie wohl alles bewegen mag? Als ich abends in der Kirche bete, wandert mein Herz bei all diesen Menschen vorbei. Wie viele Tränen werden in dieser Nacht wieder geweint? Fern der Heimat, allein mit großer Verantwortung, unsichere Zukunft, Angst um die Lieben, die geblieben sind, Allein mit so vielen schweren Nachrichten… Ich versuche all das mit auszuhalten. Schweigend lege ich es in der Stille ans Herz dessen, der uns zugesagt hat: „Seid gewiss, ich bin bei Euch alle Tage bis ans Ende der Welt!“