Ein Freund ruft an. Er wirkt sichtlich verstört. Angesichts des Krieges in der Ukraine sagt er immer wieder: „Ich hab den Eindruck, ich mach zu wenig. Wir müssen doch irgendetwas tun!“ Lange höre ich ihm zu. „Und wo bist Du jetzt?“ frage ich ihn. „Ich mit unserem Hund durch den Wald zu dem Kreuz gelaufen!“ – „Dann tust Du doch schon was!“ sage ich ihm. „Du lässt Dich von dem Schicksal der vielen Leidenden tief anrühren und bringst es zu dem, der für uns gelitten hat. Damit hältst Du diesen unendlichen Schmerz ja schon mit ihnen aus und bleibst nicht kalt und unberührt!“ Unser Gespräch wird immer tiefer und friedvoller. Ich erzähle von den Friedensmahnern, die wir an vielen Stellen der Welt aufgestellt haben – eine einfache Stehle mit den Worten „Friede auf Erden!“ in jeweils vier verschiedenen Sprachen. Im Miteinander verstehen wir, dass er in seinem Umfeld und ich in meinem Umfeld je zwei Mahner aufstellen wollen. Die vier Sprachen Englisch, Ukrainisch, Russisch und Deutsch hatte ich vorher schon ausgesucht. „Mit diesen beiden Ideen kann ich total gut weitergehen: das Leid mit den Leidenden aushalten und Friedensstehlen errichten, die an unsere Verantwortung für den Frieden zu leben, erinnern!“ vertraut er mir abschließend an.
Am Flughafen angekommen, nahm ich ein Taxi. Der Fahrer - Schwarzafrikaner - erzählte mir seine Erfahrung. Er war vor 30 Jahren aus dem Kongo in die USA gekommen, um ein besseres Leben führen zu können. Sein Traum aber war zu studieren. Das ist in den USA sehr teuer. So musste er arbeiten und konnte sich vorerst kein Studium finanzieren.
30 Jahre später bekam dieser Mann seinen Doktortitel. Und das war genau an dem Tag, an dem er mich vom Flughafen abholte. Zur offiziellen Verleihung des Titels konnte er nicht gehen, da er seinem Job als Taxifahrer nachgehen musste. Er kam aber mit seinem "Doktor-Hut" zum Flughafen und erzählte mir voller Freude, dass er nach 30 Jahren endlich seinen Doktor in Philosophie bekommen hatte. Er ist heute 57 Jahre alt. Dann sage er zu mir: "Manchmal braucht es länger, manchmal auch nicht! Wichtig ist, nie unsere Träume aufzugeben" - Dont give up on your dreams! Sometimes it takes longer, but it is worth waiting it.” Diese Worte sind mir sehr nahe gegangen.
Das Geld für die Feldküchen ist gesammelt. Erneut rufe ich in der Ukraine an. Ein dortiger Freund erzählt von 55 Waisenkindern, die z.T. auf Straßen und Bahnhöfen gefunden worden sind. Jetzt sind sie in einer großen Sporthalle untergebracht. Auf einem Foto sehe ich drei Kinder in einem Bunker. Sie schlafen – wehrlos und friedlich. Ich schließe kurz meine Augen. In mir werden Bilder wach, die mich im Jahr 1996 nach Bosnien und Herzegowina gebracht hatten. Es war vor allem das Bild eines Kindes in seiner Schutzlosigkeit. Das hatte ich damals als leises Klopfzeichen Gottes erlebt. Gott lud mich ein, mich mit Jugendlichen auf einen Friedensweg nach Bosnien und Herzegowina zu machen. Über 2000 junge Leute aus ganz Europa sind in den 25 Jahren mitgegangen und haben gelernt, für den Frieden zu leben. Ich öffne meine Augen wieder und bin wieder mit meinem ukrainischen Freund im Gespräch. Er träumte von einem Kinderdorf aus Holz-Containern. Wieder rechnen wir am Telefon: Jeder Quadratmeter überbaute Fläche kostet 425 € . 266 m2 sindgeplant. Gesamtpreis: 113.050 €. Wieder bin ich allein am Telefon, in meinem Glauben angefragt. Wieder befrage ich die Worte Jesu und mir kommt sein Wort: „Wer eines von diesen Kleinen in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf!“ - „Trust and jump!“ – „Vertrau und Spring!“ kommt mir ins Herz. Gott ist am Werk. Ein zweiter Flyer ist schnell gestaltet… Frieden will gelebt werden. Let’s go4peace – wir bleiben dran!
Wir hatten uns als Familie entschieden, ein Kind oder unbegleiteten Jugendlichen aus der Ukraine bei uns auszunehmen. Prompt kam uns der Corona-Virus besuchen. Dann kam die Nachfrage, ob wir Platz für eine Familie mit einem autistischen Kind zur Verfügung stellen könnten. Wegen Corona musste ich verneinen. Trotzdem traf mich diese Anfrage und ich teilte sie in meinem Netzwerk. Sofort meldete sich jemand, der eine voll möblierte Dienstwohnung mit 4 Betten frei hatte. Er würde auch noch den Kühlschrank voll machen und die können sie haben. Das nach nur 10 Minuten.
Eine andere Person aus meinem Netzwerk hatte Kontakt zum Autismus-Zentrum in meiner Stadt. Die schickten am nächsten Tag sofort jemanden, um zu sehen, was für den kleinen Jungen gemacht werden kann. Nach meiner Genesung konnte ich den Kleinen sehen. Schnell entstand eine enge Verbindung, dass der Kleine mich umarmte. Keine 10 Minuten nach unserer Ankunft, legte der Junge sich auf den Schoß meiner Tochter.
Der Vater des Kindes, der wegen der Behinderung seines Sohnes sein Land auch verlassen durfte, ist Musiker und spielt Gitarre (Drei in meiner Familie tun das auch!) und Geige (wie zwei von uns) und die Familie ist – wie wir - tief im Glauben verwurzelt. Wir sind alle berührt und überwältigt!
Eine Woche nach dem Osterfest in unseren westlichen Kirchen feiert die orthodoxe Kirche Ostern. Da in unserer Stadt viele Flüchtlinge – vor allem Mütter mit kleinen Kindern – aus der Ukraine angekommen sind, hatten wir uns entschieden, ihnen an ihrem Osterfest eine kleine Freude zu bereiten. So war ich in vier Supermärkten unterwegs, um die noch verfügbaren Schokoladen-Eier und bunte Hühnereier zu ergattern. Als ich jeweils die vielen bunten Eier auf das Fließband an der Kasse legte, schmunzelte mich jedes Mal die Kassiererin an und fragte – in leichten Abwandlungen – jedes Mal: „Hat Sie denn der Osterhase vergessen!“ Auf meine Antwort hin: „Ja, der ist jetzt auch schon älter geworden und schafft nicht mehr alle Nester zu füllen.“ Nach einem kleinen Schmunzeln fügte ich jeweils hinzu: „Wissen Sie, die sind für die ukrainischen Kinder, die als orthodoxe Christen eine Woche später Ostern feiern als wir!“ Ich schaute in erstaunte Gesichter und hörte vier Mal: „Toll, dass Ihr Euch für diese Kinder und Mütter stark macht!“
In meiner Nachbarschaft wohnt eine Frau, die ursprünglich aus der Ukraine stammt und schon länger hier wohnt. Sie hat zwei erwachsene Söhne, die wegen des Krieges noch in der Ukraine leben und das Land nicht verlassen können. Seit einigen Tagen spürte ich den Impuls, zu ihr zu gehen und ihr ein Zeichen der Verbundenheit zu schenken. Aus verschiedenen Gründen war ich aber unsicher, da ich die Sorge hatte, dass ich ihr vielleicht damit zu nahe treten könnte. Bisher gab es auch keine Gelegenheit, ein paar Worte miteinander zu wechseln. Ich konnte die Situation schwer einschätzen. Ein kurzes Gespräch mit einem anderen Bekannten machte mir Mut, diese Unsicherheit zu überwinden Ich nahm Blumen und eine kleine Osterkerze und schellte bei ihr. Als sie öffnete, sagte ich ihr, dass ich viel an sie und ihre Söhne denke. Sie freute sich sehr über dieses kleine Zeichen der Verbundenheit. Mit Tränen in den Augen bedankte sie sich und erzählte, dass einer ihrer Söhne in einer Stadt ist, die gestern angegriffen wurde. Als ich wieder Zuhause war, musste ich auch weinen. Soviel Leid überall. Ich bin dankbar , dass ich meine Unsicherheit überwinden konnte und dadurch ein klein wenig Freude schenken und mittragen durfte.
Abends fuhr ich noch in meine Stadt, um mir einen Vortrag anzuhören. Ich fuhr auf den Parkplatz. Es war eiskalt und dunkel. Zudem regnete es stark und kaum jemand war noch unterwegs. Ich wollte schnell in den Vortragssaal, da sah ich einen Mann mitten auf dem Parkplatz stehen, um ihn herum seine Habseligkeiten. Es gab keinerlei Schutz, nicht einmal eine kleine Überdachung. All seine Sachen waren völlig durchnässt, er stand wie erstarrt schutzlos auf dem nackten Asphalt. Es war, als hätte ihn unsere Gesellschaft ausgespuckt und auf diesem einsamen Parkplatz ausgesetzt: Dieses Bild war so unendlich grausam für mich: Ein einsamer ausgestoßener Mensch, seiner Würde beraubt. Ich ging zu ihm. Er war größer als ich. Als er mich kommen sah, stand in seinen Augen die nackte Angst vor Verachtung. Ich gab ihm etwas und war freundlich zu ihm. Er war maßlos erstaunt. Wie oft musste er sich wie Abfall behandelt gefühlt haben! Als wir einander anschauten, schien die Zeit still zu stehen. Sein Blick war so intensiv, tief und wach. In diesem Augenblick habe ich ihn wirklich geliebt, war ganz für ihn da. Ich spürte eine tiefe Verbundenheit, als würden wir uns schon immer kennen. Wir haben in Frieden miteinander geredet. Als ich gehen musste, rief er mir ein „Danke“ hinterher. Ich wünschte ihm Glück. Er war wirklich mein Bruder. Er hatte mich beschenkt, nicht umgekehrt. Als ich zwei Stunden später zum Auto zurückkehrte, hatte der Mann sich einen Schutz gebaut. Sein Gesicht trage ich seither in mir. Ich bete für ihn. Ich bin sicher, dass Gott ihn unendlich liebt und er in seinem Reich später einmal einen ganz besonderen Platz einnehmen wird, dann, wenn die Machtverhältnisse, wie wir sie kennen, von IHM komplett auf den Kopf gestellt werden.
Ich weiß um vier Geschwister, zwei Frauen und zwei Männer, die gemeinsam eine Holzwerkstatt betreiben. Wir kennen uns nicht persönlich. Eine der Schwestern, erst knapp über 30, wird in den nächsten Tagen an einer schweren Erkrankung sterben. Trotz geschehener medizinischer Fehler geht diese junge Frau ihren Weg ohne Groll. Ihre ähnlich alte Schwester scheint auch ernsthaft erkrankt. Ich riet ihr über eine Freundin zu einer Untersuchung. Und die sterbende Frau, die mich überhaupt nicht kennt, bedankt sich, dass ich mich so einfühlsam – über die Freundin - um ihrer Schwester kümmere. Das hat mich so dermaßen gerührt, dass mir die Tränen kamen. Ich bewundere diese sterbende Frau. Was für eine Liebe!
Den ganzen Tag war ich für ukrainische Flüchtlinge in ihren Belangen unterwegs gewesen. Ich hatte viele schwere Geschichten gehört. Dann fuhr ich mit einer Helferin nochmals in eine Flüchtlingsunterkunft, um dort 15 Scooter an die Kinder und Jugendlichen weiterzugeben. Ein aufgeweckter 13-Jähriger ließ mich verstehen, dass er lieber ein Fahrrad hätte, so eins, wie ich seinem Freund schon besorgt hatte. Das Tagesmotto kam mir in den Sinn: „Diene dem Leben!“ So gab ich mir trotz vorgerückter Stunde einen Schub und rief an einer Fahrradsammelstelle an. Wir konnten noch vorbei schauen. So fuhr ich mit dem Jungen zur Werkstatt. Voller Hoffnung sprang er aus dem Auto. Aber unter den Fahrrädern war für ihn kein Passendes dabei. Ich spürte seine Enttäuschung und versuchte ihn zu trösten. Als ich ihn zu seiner Familie zurückbrachte, sah ich die gleiche Enttäuschung in den Augen der Mutter. Schweren Herzens verabschiedete ich mich und fuhr noch für eine Zeit der Stille in unsere Kirche. Mir liefen die Tränen und ich ließ Jesus verstehen: „Ich hab heut alles gegeben! Kümmere Du Dich jetzt um ein Fahrrad für den ukrainischen Jungen!“ Als ich spät abends auf mein Handi schaute, ließ mich die Mutter des Kindes, dem ich ein schönes Fahrrad besorgt hatte, wissen, dass ihr Sohn lieber einen Scooter hätte. Sie schrieb: „Und deshalb hab ich das Fahrrad an Jaroslav weitergegeben, denn ich wusste um seine Traurigkeit!“
Ich stehe im Supermarkt in der Schlange vor der Kasse. Die Kassiererin ist eine junge, attraktive Frau – aber leider, leider hat sie beide Arme voller Tattoos. Das mag ich gar nicht! Wie können die jungen Menschen sich bloß so verunstalten!
Es geht nicht weiter. Der Mann, der gerade bezahlen muss, kramt schwerfällig in seiner Geldbörse und findet nicht das passende Geld. Da fesselt die Kassiererin meine Aufmerksamkeit. Sie spricht ganz ruhig und sehr zugewandt mit dem Mann, der Bezahlvorgang dauert an. Endlich ist er fertig und sie schickt ihm noch einen freundlichen – keineswegs den üblichen stereotypen – Abschiedsgruß hinterher. Ich bin angerührt und nachdenklich. Zwei Leute später bin ich an der Reihe. Ich sage zu der jungen Frau: „Das tat richtig gut am frühen Morgen, soviel freundliche Geduld zu erleben!“ Überrascht und erfreut schaut sie mir in die Augen. „Danke“, sagt sie, und wir wechseln einige persönliche Sätze. Eine Begegnung, eigentlich sogar zwei. Und vielleicht wird ihr diese Begebenheit am Ende des langen Arbeitstages in angenehmer Erinnerung bleiben. - Übrigens: ich sage nie wieder etwas Abfälliges über tätowierte junge Menschen!
Bei der Konfirmationsfeier der Tochter unseres Freundes lernten wir seine Eltern kennen. Unser Freund ist alleinerziehender Vater. Die Scheidung von seiner Frau hatte viele Scherben hinterlassen und verursacht noch immer weitere Konflikte. Nach der kirchlichen Feier ergab sich ein Gespräch mit der Mutter unseres Freundes. Ihr Schmerz und ihre Verletzlichkeit berührten uns sehr. Sie redete über die schlimmen letzten Jahre und vertraute uns alles an: Ihre Ängste, ihre Sorgen um die Enkelkinder, viele belastende Erfahrungen, ihre Hilflosigkeit, aber auch ihre Freude darüber, dass die Kinder langsam wieder Zuversicht gewinnen. Sie spürte, dass uns die Freundschaft zu ihrem Sohn wichtig ist und dass wir ihre Enkelkinder sehr gern haben. Beim Abschied bat sie uns, bald wiederzukommen. Wir umarmten uns herzlich und wussten, dass in der kurzen Zeit eine bleibende Beziehung entstanden war, obwohl wir uns vorher noch nie gesehen hatten.
Eine Gruppe von 25 ukrainischen Flüchtlingen hatte sich bei einem kirchlichen Fest sehr engagiert. Daraufhin spürte ich den Impuls, sie alle noch auf ein dickes Eis einzuladen. Als ich in mein Portemonnaie schaute, sah ich, dass das Geld unmöglich für alle reichen würden. Aber meine Einladung war ausgesprochen. Mir kam das Wort „Gib und Dir wird gegeben werden!“ in den Sinn. Ich spürte den Impuls in mir, dass von mir meine Vertrauen gefordert war. Es würde sich schon ein Weg auftun. So machten wir uns auf den Weg zur Eisdiele. Auf dem Weg dorthin begegnete ich einem Mann meines Alters. Er sah all die Ukrainer*innen bei mir und drückte mir spontan 50 € in die Hand. Lachend verabschiedeten wir uns. In der Eisdiele angekommen, sah mich eine ältere Frau. Sie hatte so eine Freude an uns als internationaler Gruppe, dass sie mit ihrem Rollator ankam und mir ebenfalls 50 € in die Hand drückte. Schmunzelnd warf ich einen Blick zum Himmel. Denn nun reichte das Geld für alle!
Fronleichnamstag. Ich hatte mich mit Gästen aus der Ukraine verabredet, sie um 9 Uhr an ihrer Unterkunft abzuholen. Um die gleiche Zeit begann die Messe, was ich nicht wusste. Als ich bei den Ukrainerinnen ankam, wartete ein Gruppe von zwei Erwachsenen und 5 Kindern auf mich, eine davon war eine Musikschullehrerin, die spontan einen Chor zusammen gestellt hatte. Ich brachte sie zur Kirche. Nach wenigen Minuten kamen weitere Ukrainer. Wir waren plötzlich eine Gruppe von 25 Leuten. Ich baute unter allen Beziehungsbrücken auf und bereitete mit ihnen Lieder und Interviews für die Prozessionsstation vor. So konnte ich nicht – wie geplant – an der Eucharistiefeier teilnehmen. Gegen 10 Uhr kamen die Messteilnehmer in einer kleinen Prozession zu „unserem Fronleichnams-Altar“. Die ukrainischen Gäste begannen ein ukrainisches Lied zu singen, sagten dann alle ihre Namen und woher sie kamen und ließen in einem kurzen Interview noch tief in ihre Seele blicken. Es waren bewegende Augenblicke. Bei manchem sah ich Tränen in den Augen. Als wir später in die Kirche einzogen – mit den Gottesdienstteilnehmern und den Ukrainischen Gästen – und ich zwischen den Osteuropäern Platz nahm, liefen mir die Tränen. Wir empfingen alle den feierlichen Segen und ich verstand: Gott hatte mich den ganzen Morgen Brot sein lassen für diese Menschen – so waren wir im Geheimnis der Eucharistie tief verbunden gewesen.
Woche für Woche hatten wir uns über Zoom gehört und Anteil genommen an der schwierigen Situation in der Ukraine. Aus dieser Freundschaft waren vielfältige große Projekte entstanden, die wir durch Spendenaktionen von Deutschland aus unterstützen konnten. 6 Feldküchen waren aufgebaut worden und nun wuchs ein kleines Kinderdorf für 55 Waisenkinder. Erneut hörten wir uns am Telefon. Lange erzählte unser Mitbruder, wie er immer neu seine Rolle als Priester in dieser Zeit des Krieges finden konnte. Und wie geht es Dir persönlich, fragte ich am Ende unseres Meetings: „Ich habe durch Eure Freundschaft gelernt, was ich bisher nur aus Büchern kannte. Wenn wir über Zoom zusammen sind, dann spüre ich wirklich FAMILIE. Das ist viel mehr wert, als alles Geld, was natürlich auch in dieser Zeit sehr notwendig ist. Und dann bin ich ja ein Mensch, der immer lange plant. Aber das geht in diesen Zeiten des Krieges nur bedingt. So habe ich gelernt, immer im Augenblick zu leben und dann Gott das Ruder übernehmen zu lassen. Und das bringt meiner Seele Frieden – auch in Zeiten des Krieges!“
Eine Fortbildung zum Thema navi4life für Student*innen war in unserem Tiny House organisiert. Es hatte sich nur eine Teilnehmer*in angemeldet. „Und wenn es nur ein Gerechter ist, würdest du dann die Stadt Sodom verschonen?“ – Dieser abrahamitische Kuhhandel mit Gott kam mir in den Sinn. Ich rief die für die Fortbildung verantwortliche Person an und sagte ihr: „Auch für eine Person gestalten wir den Tag!“ Sie sagte zu. Am Vortag der Veranstaltung hörte ich: „Die einzige Teilnehmerin ist Corona positiv. Sie kann nicht kommen!“ Aber ich komme auf jeden Fall. Vier weitere Personen hatten wir kurzfristig noch begeistern können, doch auch von diesen vier sagte noch jemand wegen Corona wieder ab. Wir begannen den Tag. Es kam ein sehr lebendiger und tiefreichender Austausch unter uns in Gang. Mehr und mehr öffnete sich jeder. Die nachmittägliche Reflexion wurde ein highlight. „Für mich war es kein Fortbildungstag, es war ein Exerzitien-Tag. Ich bin Gott neu auf die Spur gekommen!“ - „Ich bin so froh, dass ich allein – und damit ohne eine Rollenerwartung - kommen konnte! Ich hab gespürt, wie sehr Gott mich liebt und mich in so vielem anspricht! Ich fahre mit einer großen Freude im Herzen wieder nach Hause!“ – Keine Person der avisierten Zielgruppe war gekommen. Es hatte sich eine unerwartet bunte Gruppe zusammen gefunden, die den Weg des navi4life innig mitgegangen war. Gott baut Kirche, durch seinen Geist. Du weißt nicht woher er kommt und wohin er (Dich) weht.
Mit diesem Motto war ich in den Tag gestartet. Nachmittags besuchte ich eine Veranstaltung, die im Rahmen der „interkulturellen Woche“ veranstaltet wurde. Ich traf manches bekannte Gesicht. Auf einer Bank saß eine Frau mit Kopftuch. Sie schien ein wenig verloren. Ich setzte mich zu ihr auf die Bank und begann vorsichtig ein Gespräch. Ich staunte, wie gut sie unsere Sprache gelernt hatte. Sie war vor drei Jahren als Kurdin in unser Land gekommen. Ein gleichaltriger Mann gesellte sich zu uns. Sie stellte ihn als ihren Mann vor. Er hatte lange Jahre in einem pädagogischen Beruf gearbeitet und hatte sich dann aufgrund seiner Nationalität versteckt halten müssen. Nun waren sie in Deutschland. Wir sprachen über eine Stunde miteinander. Am Ende des Gespräches sagte der Mann: „Wie schön, dass Sie mit uns so lange gesprochen haben. Unsere Herzen sind sich begegnet!“
Die Schülersprecher einer Realschule hatten mich eingeladen. Sie wollten etwas über die konkrete Situation und unsere Hilfsprojekte in der Ukraine erfahren. Zugleich wollten sie mir das Geld eines Benefiz-Laufes für eines dieser Spendenprojekte geben. Gebannt hörten sie alle zu und stellten Fragen. Sie baten mich, ein wenig von dem Friedensweg go4peace zu erzählen. U.a. sprach ich von einem Land im Südosten Europas, das mit „A“ beginne. Sofort meldete sich der jüngste der Klassensprecher und fragte. „Ist das Albanien?“ Als ich bejahte, strahlte er und ließ mich wissen: „Da komme ich nämlich her!“ Er war tief berührt, dass ich schon mehrmals in seinem Land war und viel seiner Heimat kannte. Ich spürte, wie sehr er sich geliebt fühlte. Als ich am Ende der Stunde noch kurz zu ihm ging und in seiner Muttersprache Danke / Falemenderit sagte, schaute er mich glücklich an. Dann ging er in die Pause.
Der Schwiegervater unserer Chefsekretärin, (wir haben ein recht enges Verhältnis) , ist zur Zeit in der Kurzzeitpflege an meinem Arbeitsort untergebracht, während sie und ihr Mann endlich ein paar Tage Urlaub haben. Sie kümmern sich schon seit 8 Jahren um den altgewordenen Vater. Ich hatte versprochen, mich an meinen beiden freien Abenden um den alten Mann zu kümmern und ihn in der Einrichtung zu besuchen. Heute war mein Tag so anstrengend, dass ich meine Zusage echt schon bereute. Zudem war ich gestern vor der Pflegeeinrichtung so unglücklich gestolpert. Aber ich hatte mein Wort gegeben…. Ich kam echt ins Grübeln und suchte eine Ausrede! Die fand ich nicht, und das heutige Motto lautete: Schenk Deine Nähe! Ertappt! Müde, aber treu habe ich mich nach meiner Arbeit auf den Weg gemacht. Jede Ampel war rot und ein Parkplatz war auch nicht so leicht zu finden. Aber, dran bleiben! Der alte Herr strahlte, als ich in sein Zimmer kam. Wir haben ganz viel erzählt, face-time mit der Familie gehabt und ganz viel gelacht. Ich bin doppelt so lange geblieben, wie ursprünglich geplant. Ganz glücklich haben wir uns verabschiedet und meine Energie war irgendwie wieder da…. Welche Kraft im Evangelium verborgen liegt, ich stehe immer wieder staunend davor!
Pilotphase des Projektes navi4life war geplant. An drei Tagen würden wir mit dem Tiny House vor der Gesamtschule unserer Stadt stehen. Wir brauchten für die out-door-Projektphase gutes, vor allem trockenes Wetter. Das Projekt lebt von dem außergewöhnlichen, einladenden Ambiente des Tiny Houses. An den ersten beiden Tagen lief alles – wetter- und projektmäßig – gut. Am Morgen des letzten Tages wurde ich morgens von einem Starkregen in meiner Stadt geweckt. Wie sollte nun alles werden? Würden wir alles ins Schulgebäude verlegen müssen? Darunter würde die Projekt-Dynamik sehr leiden. Ich schaute auf einige Wetter-Apps. Die Unsicherheit blieb. Ich spürte: Lass all diese Fragen auf Gott hin los und bitte IHN um das, was wir für diesen Tag brauchen. Es liegt in Seiner Hand. Dann schlief ich ein. Am frühen Morgen des Tages, als wir zur Schule aufbrachen, hatte sich der Regen gelegt. Einige Wolken, die über unserer Stadt hingen, brachten keinen Regen mehr. Es blieb trocken und wurde schließlich ein sonniger Tag. Die beiden Projekt-Gruppen, die wir betreuten, arbeiteten gut mit. Am Abend fiel ich mit einem tief dankbaren Herzen ins Bett.