Seit Jahrzehnten hatten sie auf dem Marktplatz unserer Stadt ihre Produkte angeboten und waren dazu jedes Mal von weither angereist, einfache, dem Leben zugewandte ältere Leute. Jetzt hatten sie Eiserne Hochzeit gefeiert. Am Tag nach ihrem Fest kamen sie noch zur Messe in unsere Kirche, bevor sie sich mit dem Zug wieder auf den langen Heimweg machten. Es war Christkönigs-Sonntag. Ich hatte über das Königtum der Liebe Jesu gepredigt, der uns am Kreuz – dornengekrönt – zeigt, dass echte Liebe „bis ans Ende“ geht. „Diese Liebe haben Sie einander 65 Jahre zeigen dürfen!“ schlug ich am Ende der Predigt die Brücke zu den Jubilaren. Sie freuten sich sichtlich. Die alte Frau strahlte mich an und sagte zu mir: „Ich habe ja für meinen Mann noch ein Lied gedichtet und ich hab’s ihm gestern im Gottesdienst vorgesungen!“ Spontan fragte ich, ob sie es nochmals tun würde. Sie stand auf – mit ihren 91 Jahren, stellte sich vor ihren Mann und sang auswendig – ohne Mikrofon - ihr persönliches Danklied. Ihr 93-jähriger Gatte saß voller Freude in der Bank und bekam während des Liedes immer wieder einen Kuss von seiner Frau auf den Scheitel. Am Ende belohnte die Gemeinde dieses kostbare Zeichen einer spürbaren Liebe mit einem langen Applaus.
„Kannst Du mir helfen, dass wir noch einen Stromgenerator für das Krankenhaus in Cherson bekommen?“ las ich in einer WhatsApp-Nachricht. Mein Herz stockte, dann wir hatten gerade noch 9 solcher Generatoren mit 7,5 KW für einige Bunker im Bezirk Chmelnytzkyj gefunden. Ich wusste, wie schwierig es war, weitere Geräte zu finden. Aufgrund des Krieges in der Ukraine schien der europäische Markt wie leer gefegt. Im Netz stand für das benötige Gerät auf allen verfügbaren Webseiten: „ausverkauft“ oder „zurzeit nicht verfügbar“! Ich betete kurz zu Jesus: „Wenn es Dein Wille ist, lass uns noch ein Gerät finden!“ Die Suche ging weiter. Internet-Recherche – Anrufe – Whatsapp-Kontakte… alles blieb erfolglos. Als ich aufgeben wollte, hatte ich den Eindruck eine innere Stimme zu hören, die mir sagte: „Versuch’s noch einmal!“ Erneut ging ich auf eine Internet-Plattform. Und dort, wo vor wenigen Minuten noch „zurzeit nicht verfügbar“ gestanden hatte, war ein Gerät zu kaufen. Schnell wurde ich tätig und kaufte es – immer noch unsicher, ob das nicht ein Versehen war. Der Kauf schien zu gelingen. Ich wartete auf eine Bestätigung. Spät abends bekam ich per Mail die Information: „Das Gerät wurde versandt. Es ist auf dem Weg zu Ihnen.“ Mit einer Träne im Auge machte ich mein Abendgebet.
Bewegende Augenblicke hatten wir in einem adventlichen Konzert mit ukrainischen Kindern und Jugendliche erleben dürfen. Beim Solo einer 6-jährigen, bei einer Tanz-Performance vieler Kinder und beim Lied „Gott rette die Ukraine“ wie bei allen Darbietungen waren eine tiefe Freude und zugleich ein unendlicher Schmerz zu spüren. Nach dem Konzert kam eine Ukrainerin mittleren Alters zu mir. Sie hat sich entschieden, mit ihrer Familie in Deutschland zu bleiben. Sie war mit ihrer jüngeren Schwester und deren kleinen Sohn gekommen. Ihr Bruder lebte auch mittlerweile in einer Flüchtlingsunterkunft in Deutschland. Alle weit verstreut und doch einander nah. Ich schaute in ihre Augen – voller Tränen. Sie schaute mich an und ließ mich verstehen: „Ich bin so gerührt. Während des Konzertes musste ich immer wieder weinen. Danke, dass Ihr das alle möglich gemacht habt. Es ist so eine Liebe hier zu spüren!“ Dann nahm sie mich in den Arm und weinte zu Herzen gehend. Als ich später die Kirche abschloss, kamen mir Tränen. Ich durfte verstehen: Jesus - verborgen in der Mitte dieser vielen Flüchtlinge – lebendig am Werk, wie vor 2000 Jahren, als Flüchtlingskind unter Flüchtlingen, am Rande der Welt - ER, die Seele der Welt von heute.
Ich war Yulia aus der Ukraine begegnet. Sie kam aus Kherson. Unter Tränen hatte sie mir erzählt, dass das Luchansky-Krankenhaus in ihrer Stadt kaum noch Strom hatte. 9 Generatoren hatten wir schon für griechisch-katholische Gemeinden organisiert. Der Markt schien leer gefegt. Doch ich spürte: Wag’s noch einmal! Nach zwei Stunden Recherche im Internet kam mir der Impuls: Such noch eine Minute länger! Ich blieb dran. Und dort, wo eben auf Webseiten „ausverkauft“ und „zurzeit nicht lieferbar“ gestanden hatte, fand ich jetzt ein Modell mit 7,5 Kilowatt Leistung. Genau das, was wir suchten! Wenige Tage später wurde er geliefert. Als der LKW-Fahrer den Generator ablud und ich ihm sagte: „Der geht jetzt in die Ukraine nach Kherson!“ klopfte er mir mit Tränen in seinen Augen auf die Schultern und sagte: „That made my day! – Danke für Euer Engagement für die Menschheit. Ich bin Libanese. Ich weiß, was es bedeutet, Hilfe zu bekommen!“
Am Dienstag kam der Anruf eines Herrn, der über verschiedene Umwege den Tipp bekommen hatte, in dem Begegnungszentrum, das ich leite, nachzufragen, ob wir eine ukrainische Familie mit drei Kindern aufnehmen können. Dabei sind Zwillinge, die gerade einmal 2 Monate alt sind. Ab Januar war schon eine Wohnung für die Familie gefunden, aber bis dahin brauchte es eine Zwischenlösung. Wir haben in unserem Zentrum ein Appartement, das für die Familie perfekt ist. Allerdings ist es noch bis Sonntag belegt und die Familie hätte kurzfristig für die Tage in ein Hotel gehen müssen. Nachmittags erzählte ich meiner Mutter von dem Anruf. Spontan sagte sie: „Die Familie kann gern für die 4 Tage in mein Gästezimmer ziehen!“ Am Abend kam meiner Mutter dann das Tagesmotto in den Sinn: „Gott sucht dich!“ Wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so konkret werden würde. Die junge Familie ist gestern gesund und munter nach einer langen Reise über Moldawien bei uns angekommen. Die Dankbarkeit von ihnen und ihren Freunden in unserer Stadt ist sehr groß.
In unserer Nachbarschaft hatte ich mitbekommen, dass sich ein älterer Mann auf seine letzte Lebensreise machen würde. Über viele Jahre hatten wir nicht weit voneinander gewohnt und waren einander immer mit großer Freundlichkeit und Herzlichkeit begegnet. Mich bewegte die Frage, wie ich ihn noch einmal „erreichen“ könnte. Ich begegnete seinem Sohn und sprach ihn an. Ich ließ ihn verstehen, wie nahe ich mit meinen Gedanken und Gebeten bei seinem Vater war. Ich trug dem Sohn auf: „Sag bitte noch einmal Deinem Vater, ich würde fest an ihn denken und ihm für sein Leben danken!“ Zwei Tage später starb der alte Mann. Der Sohn hatte ihm meine Botschaft noch sagen können. Sie hatte sein Herz erreicht.
Als ich kurze Zeit später erfuhr, dass sich die Mutter meiner Chefin auch bald aus dieser Welt verabschieden würde, legt ich ihr eine ähnliche Bitte ans Herz. „Sag Deiner Mutter doch bitte von mir, dass sie eine tolle Tochter habe und wir uns in unserem Team sehr freuen würden, sie als Chefin zu haben.“ Sie brachte diese Botschaft ins Krankenhaus, die auch ihr Herz noch erreichte. Wenig später war sie nicht mehr ansprechbar.
Mehreren ukrainischen Flüchtlingsfamilien hatte ich einen Weihnachtsbaum geschenkt. Im Gebet am Abend kam mir ein junges Flüchtlingsehepaar aus Afghanistan ins Herz, die ich seit mehreren Jahre kenne und denen ich bei ihrer Ankunft in Deutschland viel geholfen hatte. Per WhatsApp fragte ich an, ob sie einen Weihnachtsbaum gebrauchen könnten. Ihre Antwort: „Wir würden uns sehr darüber freuen!“ Also besorgte ich noch einen Baum und einen Ständer und fuhr zu ihnen. Sie baten mich, noch ein wenig zu bleiben – auf einen Tee. Sie hätten sich keinen Weihnachtsbaum leisten können. Aber die Kinder hatten immer wieder gefragt, ob sie auch einen bekämen. Nun stand ein Baum in ihrer kleinen Wohnung. Die Kinder spielten im Zimmer und wir saßen zu dritt und fanden in einen tiefen Austausch. Am Ende ließ mich die junge Mutter, die als 16-Jährige in Deutschland angekommen war, verstehen: „Ich hatte Gott verloren. Ich war nach den schweren Erfahrungen der Flucht total im Dunkel! Ich hatte große Angst. Du bist einfach immer wieder gekommen und warst da für uns. Durch Deine Liebe, die so echt und ehrlich war, war ich tief angerührt. Du hast mich verstehen lassen, was Wahrheit ist. Du warst der einzige neben meinem Ehemann, der mich umarmen durfte. In Deiner behutsamen Umarmung habe ich Gott neu gefunden!“ Als ich das hörte, traf es mich ins Herz. Mir kamen Tränen, den beiden ebenfalls. Gott war am Werk. In den nächsten Tagen bringe ich dieser Familie noch einen beleuchteten Stern, denn im Licht der Liebe sind wir dem begegnet, für den der Stern über Bethlehem erschienen ist.
10 Generatoren hatten wir für die Ukraine besorgen können. Am nächsten Tag sollten sie mit einer Spedition in die Ukraine gebracht werden. Dazu hatten wir noch90 Pakete für Kinder und Familien der griechisch-katholischen Priester gepackt. Drei Pakete fehlten noch. Mein Tag war voller Arbeit und dennoch: Die drei Kinder dürften wir nicht „unbeschenkt“ lassen. So stand ich früh auf und fuhr in den Supermarkt, um Süßigkeiten zu besorgen. Selbstgestrickte Socken hatte ich auch noch geschenkt bekommen. Es war der Nikolaustag. Ein Schokoladen-Nikolaus war von einer stadtweiten Lehrer-Beschenk-Aktion am Vortag übrig geblieben. „Schenk ihn der Kassiererin, wer immer es sein mag!“ kam mir in den Sinn. Als ich an die Kasse kam, legte ich meine Ware aufs Band. Bevor die junge Mitarbeiterin beginnen konnte, die Waren einzuscannen, bat ich um eine kurze Unterbrechung. Erstaunt und ein wenig verwundert schaute Sie mich an. „Wissen Sie, heut ist der Nikolaustag. Und der Nikolaus kommt heut in ganz gewöhnlicher Kleidung daher!“ Dann schenkte ich ihr mit einem Lächeln den Schoko-Nikolaus. Total berührt schaute sich mich erneut an. „Oh, das hätte ich doch glatt vergessen! – Was für eine Freude! – Danke, dass Sie an mich gedacht haben!“
Meine Frau und ich waren spazieren. Bei dem Haus einer befreundeten Familie sagte sie: „Ich muss hier noch schnell etwas abgeben. Ich bin gleich wieder da.“ Ich wollte auf sie vor dem Haus auf dem Gehsteig warten. Ich wartete und wartete. Langsam wurde ich ungeduldig und negative Gedanken stiegen in mir hoch. Ich schaute auf die Uhr. Fünf Minuten wollte ich ihr noch geben, dann würde ich an der Haustüre Sturmläuten. Ganz unerwartet kam mir der Gedanke: „Segne doch in der Zwischenzeit alle die Personen, von deren Not du weißt.“ Plötzlich waren alle Ungeduld und negativen Gedanken verschwunden und ich konnte dann meiner Frau völlig gelöst begegnen. Erst später fiel mir ein, dass unser Tagesmotto lautete: „Im Alltag Gottes Liebe entdecken!“ ER hatte mir den Gedanken zum Segnen geschenkt.
Spät abends erreicht mich eine WhatsApp Nachricht. „Darf ich Dich um das Gebet für den Vater meines Freundes bitten? Er ist in den heftigen Kämpfen um Bachmut gestorben.“ Ich bin gerade in der Kirche und stelle in der Dunkelheit eine Kerze für ihn auf und schicke sie als Foto nach Kiew. Am nächsten Tagen bereite ich mit einer jungen Mutter den Nikolausabend in der orthodoxen Tradition für die Kinder der Ukraine in unserer Stadt vor. Ich erzähle ihr von der abendlichen Botschaft. Sofort beginnt sie mir all die Namen derer zu nenne, die schon aus ihrer Verwandtschaft gestorben sind. Schweigend sitzen wir ein paar Augenblicke da, mit Tränen in den Augen. Nachmittags verteile ich ein paar Weihnachtsbäume. Ich begegne einer Mutter, die mit drei Kindern aus der Ukraine bei uns angekommen ist. Auf die Frage, ob sie einen Weihnachtsbaum wolle, schüttelt sie den Kopf: „Dieses Jahr sind wir nicht in Weihnachtslaune! Frag meine Kinder.“ Als ich sie später frage und sie sich mit ihrer Mutter besprechen, lehnen auch sie das Angebot ab: „Dieses Jahr nicht!“ Während sie das sagen, schaue ich in tieftraurige Augen. Was sie wohl alles bewegen mag? Als ich abends in der Kirche bete, wandert mein Herz bei all diesen Menschen vorbei. Wie viele Tränen werden in dieser Nacht wieder geweint? Fern der Heimat, allein mit großer Verantwortung, unsichere Zukunft, Angst um die Lieben, die geblieben sind, Allein mit so vielen schweren Nachrichten… Ich versuche all das mit auszuhalten. Schweigend lege ich es in der Stille ans Herz dessen, der uns zugesagt hat: „Seid gewiss, ich bin bei Euch alle Tage bis ans Ende der Welt!“
Vor Jahren hatte sie an der Firmvorbereitung in unserer Pfarrei teilgenommen. Ganz lose hatte sich der Kontakt gehalten. Jeden Morgen bekam sie das Tagesmotto via SMS zugestellt. Mittlerweile hatte sie ihre Berufsausbildung erfolgreich beendet und arbeitet als Polizistin in einer Stadt fern ihrer Heimat. Unvermutet musste ich an sie denken. So schickte ich ihr eine herzlichen Gruß via WhatsApp. Wenige Augenblicke später kam eine Antwort. Sie ließ mich wissen, wie froh sie war, dass der Kontakt auch über die Firmung hinaus gehalten hatte. „Und das soll auch in Zukunft so bleiben! Ich verstehe mich total gut mit meinen Kolleg*innen. Ich bekomme ja jeden Tag die Kurzimpulse aus dem Evangelium. Ich teile sie mit all meinen Kolleg*innen an meiner Arbeitsstelle. Das hilft uns sehr!“
Die Tage waren voller Arbeit. Ein Treffen mit einer größeren Gruppe stand an. Ich war gebeten, dort etwas von den go4peace-Aktivitäten in der Ukraine zu erzählen. Gerade am Vortag hatten wir begonnen, das Projekt „Generatoren für die Ukraine“ zu lancieren. Wegen der vielen Arbeit bohrte die Frage in mir: Sollst Du fahren oder absagen? Ich entschied mich: „Ich fahre hin, um zu lieben!“ Es ergaben sich viele kleine Gespräche in großer Dichte und Ehrlichkeit. Dann erzählte ich von der Freundschaft zu einem ukrainischen Priester. Ich erzählte, wie aus notvollen und tränenreichen Augenblicken am Telefon jede Aktion geboren worden war: 6 Feldküchen für die Ukraine, ein Kinderdorf für die Ukraine, das Projekt „Miteinander“ und nun auch das Projekt „Generatoren für die Ukraine“. Immer neu hatte ich in den Augenblicken, als die Ideen aufkamen, den Eindruck, Jesus klopft in den Notleidenden an die Tür Deines Herzens. So war die Entscheidung jedes Mal gefallen, diese Wege zu gehen. Gebannt hörten die Teilnehmer des Treffens zu. Am nächsten Tag ein Anruf: „Wir waren so angerührt, dass wir uns als Familie entschieden haben, die Kosten für einen Generator zu übernehmen!“ Kurz danach eine erneute Mail: „Und meine Schwiegermutter hat sich entschieden, das auch zu tun!“ Direkt nach dem Start der Aktion hatte auch schon ein mir unbekannter Mann angerufen und mich wissen lassen: „Mit unserer Pfarrei übernehmen wir die Kosten für einen Generator!“
Bei unseren letzten Telefonaten hatte ich gespürt, wie schlecht es ihm ging. Ich merkte: Er braucht einen Bruder. So bin ich in der Früh aufgebrochen und war nach 900 Kilometern bei ihm in Tschechien. Ich kam in das alte Haus, in dem er nun wohnen musste und fiel fast um vor Schock. Das Dach total undicht. Im Erdgeschoss nur Chaos. Herumstehende Schränke, Tische und Stühle. Es war eiskalt. Es pfiff durch die Fenster. In drei Räumen Meter hohe Stapel mit unendlich viel Papier und Büchern... Keine Küche, keine Spüle, keine Waschmaschine und alles dreckig. Im ersten Stock lagen hunderte Kreuze und dunkle alte Bilder und 1000sende von Büchern... Es war kalt und muffig, ekelig... und in all dem musste er leben. Er war wie gelähmt. Ich kannte ihn so nicht. Mein Kaputt-Sein war sofort verfolgen und wir begannen zu überlegen, zu planen und aufzuräumen. Nach über 24 Stunden Arbeit war viel geschehen. Für abends hatten sich Jugendliche angesagt. Mein Mitbruder hatte noch Messe. Ich bin - unter dem Vorwand einige Anrufe machen zu müssen - nicht mitgegangen, sondern hab weiter gearbeitet, um für den Besuch der Jugendlichen alles schön zu machen. Und dann kam Tomas zurück. Er hatte Tränen in den Augen, als er das Zimmer sah. Es war zu einem Zuhause für ihn geworden. Dann kamen die jungen Leute. Sie spürten, was geschehen war. Wir saßen in der kleinen Runde und begannen total einfach zu erzählen. Im Nu war ein Klima da, als würden wir uns schon ewig kennen.
"Bitte bete für einen kleinen Jungen meiner Schule", las ich in einer Mail. Und dann erschreckte mit folgende Erfahrung: „Die Tür eines Klassenraumes unserer zweiten Schuljahre stand während der Frühstückspause auf. Diese Klasse unterrichte ich selber nicht. Ich hörte ein Schluchzen und ging hinein. Ein Junge erzählte mir völlig aufgelöst, dass sein Mitschüler Markus ihn geschlagen habe. Ich war von dem Ausmaß der Gewalt geschockt, die in dieser Alltagsstufe absolut selten ist. Der schluchzende Junge hatte eine geschwollene Backe und seine Lippe war aufgeplatzt und blutig. Ich habe ihn getröstet und die Verletzung notdürftig versorgt. Als ich mit Markus darüber reden wollte, sah er durch mich hindurch - starr, wie erfroren. Seine Augen schienen absolut leer. Das hat mich bis ins Mark getroffen. Er ist doch erst sieben Jahre alt. Meine Kollegin erzählte mir, dass der Kleine kein richtiges Zuhause hat. Eine Pflegefamilie wurde nicht gefunden. Im Heim fühlt er sich nicht zu Hause. Er weiß nicht, wohin mit seiner Verlassenheit und Verzweiflung. Wahrscheinlich gibt es niemanden, der ihn aufrichtig liebt. Das ist so furchtbar traurig.“
Nach unserem Sommer-Pfadfinderlager arbeitete ich wieder in einer Familie mit Pflegekindern. Dann passierte etwas Seltsames. Ich hatte ihren Hausschlüssel in deren Garten verloren und konnte ihn nicht mehr finden. Ich ging fast jeden Tag in den Garten und versuchte, ihn zu finden. In diesen Tagen passierte eine Menge Unvorhergesehenes in der Familie, und es war sehr gut, dass ich da war und helfen konnte. Ich betete zu Gott, dass er mir helfe, diesen Schlüssel wieder zu finden. Ich fühlte mich schuldig und verantwortlich für sein Verschwinden. Am dritten Tag der Suche (am Sonntag!) fand ich ihn endlich im Gras. Ich war so glücklich! Ich verstand, dass Gott mich in dieser Zeit in der Familie haben wollte, auch wenn meine Hauptabsicht darin bestand hatte, diesen Schlüssel zu finden.
Als ich in einer Klasse ein kleines Ritual eingeführt habe, wie man frei betet, kamen so viele Kinder mit ehrlichen und wichtigen Gedanken, die sie Gott sagen wollten, dass die Unterrichtszeit nicht reichte. Obwohl viele Familien mit Religion nichts zu tun haben, hatten die Kinder die unerschütterliche Gewissheit, dass Gott ihre Sorgen ernst nimmt, ihnen zuhört und sie liebt. Am gleichen Tag führten mich einige Kinder zu einem weinenden Jungen im Flur, der mir erzählte, dass er sich nach seinem Bruder sehnt, der tot ist und den er nie kennengelernt hat. Ich habe versucht ihm zu erklären, dass sein Bruder immer in Liebe ganz eng mit ihm verbunden ist und er ihn einmal im Himmel kennenlernen wird. Er hat nichts gesagt, nur zugehört und mich angesehen. In diesem Blick lag Hoffnung. Ich sah vor meinem inneren Auge die beiden Brüder aufeinander zulaufen und sich umarmen, und ich bin mir absolut sicher, dass es ganz genauso sein wird. Ich bin glücklich und dankbar, dass mir diese kostbaren Momente geschenkt worden sind.
Ich saß letzte Woche nach einem Schultermin am Ufer eines kleinen Flusses und wusste nicht wohin mit meinem Schmerz und meiner Angst. Mein Sohn ist immer noch krank und nächste Woche muss er Klausuren schreiben. Er ist aufgrund schwerer Erfahrungen zutiefst geplagt von Ängsten. Weiterhin ist mein kleines Patenkind aufgrund einer schweren familiären Situation so fertig mit der Welt, dass möglicherweise das Jugendamt zu Hilfe eilen muss, zumal eine anstehende Therapie noch Monate auf sich warten lässt. In solchen Augenblicken schaut’s sehr, sehr dunkel in mir aus. Aber wenn mich die Panik manchmal mit aller Kraft überkommt, lege ich sie in Jesu Hände und sie lässt wirklich nach. Es sind Hände mit Narben und merkwürdigerweise ist das tröstlich, weil er für uns durch dieses ganze unermessliche Leid gegangen ist und uns jetzt darin begegnet.
Ich zog in eine neue Pfarrei. Als ich mich dem Ort näherte, versperrte ein Lastwagen, der Material ablud, den Weg. Ich war dicht an ihm dran, musste aber das halbe Auto auf den Bürgersteig fahren. Auf dem breiten Bürgersteig vor einem der Nachbarhäuser wusch jemand sein Auto. Er war ins Haus gegangen und ein Eimer Wasser stand mir im Weg. Ich stieg aus und schob den Eimer vorsichtig zur Seite. In diesem Moment kam der Mann aus dem Haus. Er sagte etwas zu mir, aber ich konnte es wegen des Lärms des Lastwagens nicht verstehen. Deshalb ging ich näher zu ihm und er sagte: "Ist das normal für Sie, auf dem Bürgersteig zu fahren?" Ich entgegnete, dass es mir Leid täte und dass mein Ziel nur ein paar Meter entfernt sei. Ich müsse zum Pfarrhaus. Ich hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als er mir ein sehr verletzendes Schimpfwort an den Kopf warf. Ich war schockiert. So eine hasserfüllte Reaktion! Außerdem hatte mir der Mann gesagt, ich solle von der anderen Seite in die Straße fahren. Aber ich kannte das alles noch nicht. Die bösen Worte, die ich gehört hatte, beschäftigten mein Herz. Ich kam in die neue Gemeinde und dann so ein Hass. Ich lud meine Sachen im Pfarrhaus ab. Da erinnerte ich mich an den morgendlichen Impuls von Meinolf: "Sprich die Sprache des Himmels!", die Sprache der Liebe. Ich fragte mich: "Willst du weiterhin den Schmerz im Herzen haben und immer noch an das Schlechte denken, oder willst du ihn in Liebe verwandeln?" Mir kam der Gedanke, dem Mann noch etwas Putzzeug für sein Auto zu schenken. (Aber insgeheim sagte ich mir: "Hoffentlich finde ich nichts.") Aber Gott nahm mich ernst. Ich fand Reinigungsmittel im Pfarrhaus und kehrte mit dem Auto zurück zu dem Mann. Ich hielt an. Unsicher schaute er mir entgegen. Er erwartete jetzt meine Abrechnung. Ich ging zu ihm und sagte: "Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie mir einen guten Rat gegeben haben. Es war wirklich möglich, von der anderen Seite in die Straße zu fahren." Er nickte verwirrt. Dann fragte ich ihn: "Kann ich Ihnen ein paar Sachen zum Waschen des Autos geben? Ich brauche sie nicht mehr." Ich reichte ihm die Schachtel. "Nein, nein, danke." Er nahm sie nicht an, aber ich hörte aus seinem Mund: "Danke!" Ich bin sicher, er wird nicht vergessen, dass jemand unverständlicherweise auf seinen Hass mit Liebe reagiert hat. Schließlich gab ich die Schachtel der Tochter einer alten Dame, die wir zufällig trafen, als wir ihre Mutter im Krankenhaus besuchten. Der Hass in meinem Herzen war nicht mehr da. Die Sprache der Liebe hatte gesiegt!
Nach einer Religionsstunde kam ein Mädchen zu mir, nachdem wir darüber gesprochen hatten, warum die Menschen von Jesus so begeistert waren und heute noch sind. Sie sagte: „Also, meine liebe Lehrerin! Weißt Du, Jesus ist echt der Beste überhaupt! Jetzt versteh ich endlich, wieso es überhaupt das Fach Religion gibt!“ – Als ich in das strahlende Gesicht des Mädchens schaute, dachte ich: „Mein Job ist echt ein Traum!“
Der Morgenimpuls am Fest Mariä Geburt war mir nachgegangen. Das Motto „Sei auf Empfang!“ war mir im Herzen geblieben. Ich traf zufällig eine junge Frau im Treppenhaus, grüßte sie und entschied mich, offen zu sein, falls noch etwas folgen sollte. Zunächst redeten wir über die Post, die wir erwarteten, dann sprach ich sie auf ihre frische große Narbe am Oberarm an. Daraufhin erzählte sie mir von ihrem Unfall vor wenigen Tagen. Ich merkte, wie gut es ihr tat, dass ich ihr anteilnehmend zuhörte. Bisher waren wir uns in dem Mehrparteienhaus noch nie so nahe gekommen. - Schön, dass "Maria-Sein" so schön sein kann!