Ich bin glücklich!
Abgeschoben, bei Nacht und Nebel. Sie kamen morgens früh, pochten ganz laut an die Tür, nahmen das Handi weg und dann ging alles ganz schnell. In Straßburg wurden sie einfach auf die Straße gesetzt, eine kranke Mutter und ihr kleines Kind. Hart und unmenschlich. In einer Nachricht lese ich: „ Wir hatten Gegenstände für den Haushalt, Schulmaterial und Spielsachen gesammelt, das Mädchen – eine Grundschülerin - konnte zusätzliche Deutschstunden bekommen und einen Zeichenkurs besuchen. Sie wollten sich in unserer Gemeinde engagieren, in der sie so viel Liebe erfahren haben. Die Mutter stand kurz vor der Taufe. Sie hat viele Textstellen aus dem Neuen Testament abgeschrieben und ich wünsche ihr sehr, dass sie sich jetzt daran festhalten kann.“ Auch an diesem Abend wieder neu lege ich den ganzen Schmerz des Tages in die Hände Jesu. In Stille entzünde ich eine Kerze und denke an die vielen, die heute ihren Schmerz geteilt haben.
Eine Freundin schickte mir einen Artikel, den ich Mitte der 90ger Jahre verfasst hatte. 30 Jahre sind seither vergangen. Ich lese die Zeilen. Sie berühren mich tief: Ein langer Arbeitstag geht zu Ende. Das Telefon klingelt. Eine unbekannte Frauenstimme meldet sich vom Bahnhof Bielefeld. Sie fragt, ob ich Kalle kenne. – Ja, ich kenne ihn. Kalle war ein drogenabhängiger junger Mann, der für einige Zeit bei uns in Hardehausen gelebt hatte. Die Frau erzählt mir, sie habe Kalle im Bielefelder Drogenmilieu gefunden und nun stehe er auf dem Bahnhof und nenne immer wieder meinen Namen. Mir ist sofort klar, dass ich den Rest meines Tages neu planen muss. Neunzig Minuten später bin ich am Bielefelder Bahnhof. Ich suche und finde Kalle.
Er schaut mich an und kommt langsam auf mich zu. Ich spreche ihn an. Seine Augen sind glasig. Er ist vollgepumpt mit Drogen. Er beginnt zu weinen und wiederholt immer wieder meinen Namen: „Meinolf, Meinolf!“ Ich nehme ihn in den Arm. Er weint bitterlich. Ich frage ich, ob er mit mir nach Hause fahren will.“
Als junges Mädchen hatte sie sich mit 17 Jahren kurz nach dem Krieg ins Leben gewagt. Sie hatte - weit von ihrem Heimatdorf entfernt - im Nachkriegsdeutschland eine Arbeitsstelle gefunden. Nach Hause fahren konnte sie nur noch selten, da die Fahrt mehr als die Hälfte ihres monatlichen Verdienstes verschlang. Dann hatte sich eine Gelegenheit ergeben, eine näher liegende Arbeitsstelle zu finden. So war sie in eine kleine Stadt gezogen, wo sie geheiratet und ihre Kinder groß gezogen hatte. Seit 70 Jahren lebte sie nun dort. Aus Anlass dieses verborgenen Jubiläums hatte ich ihr in einer Blumenschale 70 Pralinen geschenkt. Abend für Abend hatte sie voller Dankbarkeit eine dieser Pralinen gegessen. Die Blumenschale bekam ich zurück. Sie steht nun wieder bei mir in einem Regal im Keller. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, spüre ich diese tiefe Verbundenheit und Dankbarkeit.
„Und wer von euch hat schon eine Ahnung, was er nach dem Abi machen wird?“ fragen wir 13 Schüler*innen und Schüler eines Religionskurses im Immanuel-Kant-Gymnasium in Dortmund, die kurz vor dem Abitur stehen. Ein hoch engagierter Schüler lässt uns wissen: „Ich möchte gern Medizin studieren, und wenn ich keinen Studienplatz bekomme, dann versuche ich es über eine Krankenpflegeausbildung und wenn das auch nicht geht, ist Plan C einen Rettungssanitäter-Schein zu machen und wenn das auch nicht geht, dann mache ich erst einmal ein FSJ, aber meine Wegrichtung ist klar.“ Beeindruckt hören wir diesem jungen Mann zu, der seinen Weg klar vor sich liegen sieht und verschiedene Szenarien für sich entwickelt hat. „Und ich hab schon klar, dass ich zunächst hier in Deutschland noch eine Ausbildung machen will und dann werde ich in drei bis vier Jahren auswandern.“ Erstaunt über seine Klarheit frage ich nach, wo es denn hingehen soll: „Nach Zypern. Dort sind die Wurzeln meiner Familie und dort möchte ich in Zukunft wieder sein!“ – „Und ich habe schon klar, dass ich nach dem Abi ein FSJ in Argentinien im Großraum Buenos Aires machen werde!“ teilt eine der Schüler*innen mit uns.
Dann stellen wir den Jugendlichen das Logbuch1 Mein Leben – windschief und glänzend vor und zeigen in einigen Videos, die im Logbuch über QR-Code zu finden sind, wie sie das Buch gewinnbringend für sich selber handhaben können. Mit kurzen Fragen schlagen wir nach jedem Kapitel die Brücke in ihr Lebensumfeld, um aufleuchten zu lassen, wie nah die im Logbuch gestellten Fragen an ihrer Lebenswirklichkeit sind. Am Ende der Präsentation verteilen wir die Logbücher an jeden einzelnen Jugendlichen und entlassen sie dann mit dem Buch in 5-6 Wochen Einzelarbeit. Ein kurzer Austausch mit Dr. Laarmann, dem Religionslehrer, der uns die Brücke ins IKG gebaut hatte, ergibt sich: „Dieser Weg, den ihr den jungen Leuten anbietet, ist wirklich eine echte und beeindruckende Hilfe, um sie zu bestärken, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen.“ Schmunzelnd erinnert er, als ebenfalls versierter Latein-Lehrer, an den Dichterphilosophen Seneka und seine Gedanken zur Seelenführung.