Ich bin glücklich!
Ich war Yulia aus der Ukraine begegnet. Sie kam aus Kherson. Unter Tränen hatte sie mir erzählt, dass das Luchansky-Krankenhaus in ihrer Stadt kaum noch Strom hatte. 9 Generatoren hatten wir schon für griechisch-katholische Gemeinden organisiert. Der Markt schien leer gefegt. Doch ich spürte: Wag’s noch einmal! Nach zwei Stunden Recherche im Internet kam mir der Impuls: Such noch eine Minute länger! Ich blieb dran. Und dort, wo eben auf Webseiten „ausverkauft“ und „zurzeit nicht lieferbar“ gestanden hatte, fand ich jetzt ein Modell mit 7,5 Kilowatt Leistung. Genau das, was wir suchten! Wenige Tage später wurde er geliefert. Als der LKW-Fahrer den Generator ablud und ich ihm sagte: „Der geht jetzt in die Ukraine nach Kherson!“ klopfte er mir mit Tränen in seinen Augen auf die Schultern und sagte: „That made my day! – Danke für Euer Engagement für die Menschheit. Ich bin Libanese. Ich weiß, was es bedeutet, Hilfe zu bekommen!“
Am Dienstag kam der Anruf eines Herrn, der über verschiedene Umwege den Tipp bekommen hatte, in dem Begegnungszentrum, das ich leite, nachzufragen, ob wir eine ukrainische Familie mit drei Kindern aufnehmen können. Dabei sind Zwillinge, die gerade einmal 2 Monate alt sind. Ab Januar war schon eine Wohnung für die Familie gefunden, aber bis dahin brauchte es eine Zwischenlösung. Wir haben in unserem Zentrum ein Appartement, das für die Familie perfekt ist. Allerdings ist es noch bis Sonntag belegt und die Familie hätte kurzfristig für die Tage in ein Hotel gehen müssen. Nachmittags erzählte ich meiner Mutter von dem Anruf. Spontan sagte sie: „Die Familie kann gern für die 4 Tage in mein Gästezimmer ziehen!“ Am Abend kam meiner Mutter dann das Tagesmotto in den Sinn: „Gott sucht dich!“ Wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so konkret werden würde. Die junge Familie ist gestern gesund und munter nach einer langen Reise über Moldawien bei uns angekommen. Die Dankbarkeit von ihnen und ihren Freunden in unserer Stadt ist sehr groß.
In unserer Nachbarschaft hatte ich mitbekommen, dass sich ein älterer Mann auf seine letzte Lebensreise machen würde. Über viele Jahre hatten wir nicht weit voneinander gewohnt und waren einander immer mit großer Freundlichkeit und Herzlichkeit begegnet. Mich bewegte die Frage, wie ich ihn noch einmal „erreichen“ könnte. Ich begegnete seinem Sohn und sprach ihn an. Ich ließ ihn verstehen, wie nahe ich mit meinen Gedanken und Gebeten bei seinem Vater war. Ich trug dem Sohn auf: „Sag bitte noch einmal Deinem Vater, ich würde fest an ihn denken und ihm für sein Leben danken!“ Zwei Tage später starb der alte Mann. Der Sohn hatte ihm meine Botschaft noch sagen können. Sie hatte sein Herz erreicht.
Als ich kurze Zeit später erfuhr, dass sich die Mutter meiner Chefin auch bald aus dieser Welt verabschieden würde, legt ich ihr eine ähnliche Bitte ans Herz. „Sag Deiner Mutter doch bitte von mir, dass sie eine tolle Tochter habe und wir uns in unserem Team sehr freuen würden, sie als Chefin zu haben.“ Sie brachte diese Botschaft ins Krankenhaus, die auch ihr Herz noch erreichte. Wenig später war sie nicht mehr ansprechbar.
Spät abends erreicht mich eine WhatsApp Nachricht. „Darf ich Dich um das Gebet für den Vater meines Freundes bitten? Er ist in den heftigen Kämpfen um Bachmut gestorben.“ Ich bin gerade in der Kirche und stelle in der Dunkelheit eine Kerze für ihn auf und schicke sie als Foto nach Kiew. Am nächsten Tagen bereite ich mit einer jungen Mutter den Nikolausabend in der orthodoxen Tradition für die Kinder der Ukraine in unserer Stadt vor. Ich erzähle ihr von der abendlichen Botschaft. Sofort beginnt sie mir all die Namen derer zu nenne, die schon aus ihrer Verwandtschaft gestorben sind. Schweigend sitzen wir ein paar Augenblicke da, mit Tränen in den Augen. Nachmittags verteile ich ein paar Weihnachtsbäume. Ich begegne einer Mutter, die mit drei Kindern aus der Ukraine bei uns angekommen ist. Auf die Frage, ob sie einen Weihnachtsbaum wolle, schüttelt sie den Kopf: „Dieses Jahr sind wir nicht in Weihnachtslaune! Frag meine Kinder.“ Als ich sie später frage und sie sich mit ihrer Mutter besprechen, lehnen auch sie das Angebot ab: „Dieses Jahr nicht!“ Während sie das sagen, schaue ich in tieftraurige Augen. Was sie wohl alles bewegen mag? Als ich abends in der Kirche bete, wandert mein Herz bei all diesen Menschen vorbei. Wie viele Tränen werden in dieser Nacht wieder geweint? Fern der Heimat, allein mit großer Verantwortung, unsichere Zukunft, Angst um die Lieben, die geblieben sind, Allein mit so vielen schweren Nachrichten… Ich versuche all das mit auszuhalten. Schweigend lege ich es in der Stille ans Herz dessen, der uns zugesagt hat: „Seid gewiss, ich bin bei Euch alle Tage bis ans Ende der Welt!“