Ich bin glücklich!
Mit sechs jungen Leuten hatte ich mich auf den Weg nach Rajsko bei Oświęcim / Auschwitz gemacht, um am 30jährigen Jubiläum des Dr. Janusz-Korczak-Kinderdorfes teilzunehmen. 1000 Straßenkilometer lagen vor uns. Während der Zeiten, in denen es im Auto still wurde, wanderten meine Gedanken zu Janusz Marszalek, dem Gründer des Kinderdorfes und in seine persönliche Lebensgeschichte.
In den Jahren 1975-1989 hatten die Menschen in Polen eine schwierige politische und wirtschaftliche Situation durchlebt. Das Leben vieler Familien war prekär und herausfordernd. Der sogenannte Sozialismus war für die meisten Menschen schwer zu ertragen. Ohne 'Vitamin B", ohne Beziehungen waren viele Produkte nicht zu bekommen. Besonders für ältere Menschen war das Leben äußerst schwierig und ohne fremde Hilfe fast unerträglich geworden. Um Brot und Milch zu kaufen, standen die Menschen in langen Schlangen an. Es war auch nicht einfach, einen Reisepass für Westeuropa zu bekommen. Wem es dennoch gelang, der buchte bei einem staatlichen Reisebüro einen kurzen Ausflug in eines der West-Länder, um dann dort zu bleiben. So blieben viele Kinder ohne ihre Eltern in Polen zurück und mussten in Waisenhäuser aufgenommen werden
Janusz Marszalek war in jener Zeit Besitzer eines kleinen Imbisses mit Pommes und Hot-Dogs. Beim Essen hatten ihm viele junge und ältere Kunden ihre traurige Situation anvertraut. So lernte er die Lebenssituation von vielen Kindern und Senior*innen kennen. Oft konnte er helfen. Aber auch seine Sehnsucht ging über die Grenzen seines Landes hinaus. Im Mai 1987 hatte er seinen Reisepass erhalten. Sofort war er nach Deutschland gefahren und wollte dort für immer bleiben.
Doch dann war alles ganz anders gekommen. Er hatte ein SOS-Kinderdorf in der Oberpfalz besucht und dort den Präsidenten von SOS-KD-International getroffen. Diese Begegnungen hatten ihn zutiefst bewegt. Sein Weg sollte sich ändern. Langsam entstand die Idee, ein ähnliches Kinderdorf in seiner Heimatstadt Oświęcim zu bauen. Er ging zurück nach Polen, um für allein gelassene Kinder da zu sein.
Am 17.08.1994 wurde das Dr. Janusz-Korczak-Kinderdorf eingeweiht – einen Steinwurf entfernt von den Gedenkstätten des KZ Auschwitz-Birkenau. Über 70 Waisenkinder sind inzwischen durch das Leben im Kinderdorf selbständig geworden, eine lebendige Flamme der Hoffnung vor der grauenvollen Geschichte vieler Millionen von Toten. Später, in den Jahren 2002-2011, war Janusz Marszalek parteifreier Präsident, sozusagen Oberbürgermeister der Friedensstadt Oświęcim gewesen. Er hatte sich stark gemacht für die Entstehung eines Friedensortes im Andenken an die vielen ehemaligen Auschwitz-Häftlinge. Auch dafür brannte weiterhin sein Herz, wie auch für Senioren und Behinderte, für die er sich in der Polnischen Senioren-Union (PUS) und als Mitglied der Europäischen Senioren-Union (ESU) in Brüssel sehr engagiert hatte.
All das hatte mein Herz bewegt, als wir - Artemida, Jana und Rieke, Sophie, Yana, Lara und ich -nach über 11 Stunden Fahrt das Kinderdorf erreichen. Wir werden herzlich empfangen. Viele Gruppen aus Deutschland sind bereits eingetroffen, aus Auerbach, Immenstadt, Magdeburg, Freiburg und anderen Orten.
Als wir am Samstag, dem 17.08. – genau 30 Jahre nach der Eröffnung des Kinderdorfes, nachmittags in der Pfarrkirche von Rajsko in einem Festgottesdienst Gott für das Geschenk des Kinderdorfes und für Janusz Marszalek, seine Frau Marta und das Team des Kinderdorfes danken, brandet ein lange nicht enden wollender Applaus auf. Mich bewegen diese Augenblicke sehr, ist es doch der Sieg des Lebens über die vielen von den Nazis ermordeten Menschen. Ja, die Liebe, die das Leben liebt und beseelt, ist stärker als der Tod.
Als wir uns am Sonntag in der Frühe wieder auf die 1000 Kilometer Heimfahrt nach Deutschland machen, waren wir nur einen Tag in Rajsko bei Oświęcim gewesen. Aber wir waren eingetaucht in die über 30 Jahre währende Friedensgeschichte eines Ortes, der als Auschwitz eine traurige Berühmtheit hat. Wir hatten mit dem Kinderdorf einen echten Friedensort erleben dürfen und hatten während der gemeinsamen Stunden viele Friedenserfahrungen miteinander geteilt. Auf dem langen Weg nach Deutschland kam mir ein Wort von Chiara Lubich in den Sinn: „Leben wir so, dass wir am Ende unseres Lebens nicht bereuen müssen, zu wenig geliebt zu haben!“ Ich war mir sicher: Janusz, seine Frau Marta und sein Team werden das am Ende ihres Lebens bestimmt nicht bereuen müssen.
19.08.2024 - Meinolf Wacker

Ich hatte mir vier Butterbrote für eine lange Autofahrt nach Polen geschmiert. Am Abend des Tages waren noch zwei übrig. Eine Stimme in mir ließ mich verstehen, sie im Kühlschrank aufzubewahren und nicht zu essen. Ich war mit sechs junge Leuten unterwegs. Als wir zwei Tage später in der Frühe des Tages wieder heimfuhren und noch kein Frühstück bekommen konnten, ließ mich ein Mädchen aus der Gruppe verstehen, dass sie ohne Frühstück kaum durchhalten würde. Strahlend präsentierte ich ihr die beiden immer noch frischen Brote. Sie aß sie voller Freude: „Boh, sind die noch lecker!“ Die dankbare Freude dieses Mädchens ließ mich selber mit frohem Herzen die Reise antreten.
Mit einer kleinen Gruppe Jugendlicher war ich auf dem Weg nach Rajsko bei Oswiecim, um dort am 30jährigen Jubiläum eines Kinderdorfes teilzunehmen. Kurz vor der polnischen Grenze hielten wir an einer Raststätte an, um die Toiletten aufzusuchen. Jeder erhielt dafür einen Gutschein-Bon, der im Laden eingelöst werden konnte. Als ich die sechs Jugendlichen fragte, ob noch jemand meinen Bon bräuchte und sie verneinten, bekam das der Kassierer, bei dem ich kurz vorher meine Tankrechnung beglichen hatte und ein wenig mit ihm gescherzt hatte, mit und sagte mir: „Kommen Sie!“ Dann hielt er mir einen Schoko-Riegel hin und sagte: „Der kostet genau den Wert des Bons!“ Voller Freude nahm ich die Schokolade dankend entgegen und gab sie einer der Studentinnen, die gerade neben mir stand weiter, worüber sie sich sehr freute.
Es hatte begonnen zu regnen. Wir hatten zwei Mütter mit ihren durchnässten Kindern ins Pfarrbüro gebeten, um ihnen vor dem Regen Schutz zu bieten. Eine der beiden schaute mich mit großen Augen an und sagte: „Sie sind doch Pastor – oder?“ Ich lächelte und antworte: „Ja klar und was für einer!“ – Lachend erwiderte sie: „Ich kenne sie. Wir sind uns schon einmal begegnet und irgendwie war das ganz kostbar. Das kommt gerade alles in meinem Herzen wieder hoch und ich spüre, wie bewegt ich bin! Und dankbar! Ich hab den Wunsch, auch wieder zur Kirche zu kommen…“ Dann zeigte ich ihr und ihrer Freundin unser Tiny House im Garten und erzählte von dem Projektweg navi4life, der jungen Leuten ins Leben hilft. „Toll, dass Sie so etwas machen! Das brauchen wir so sehr! Irgendwie ist das auch noch mein Thema!“ Dann verabschiedeten wir uns. Als ich die beiden jungen Mütter eine Stunde später auf einem Kinderspielplatz sah, brachte ich ihnen noch eine Schokolade und das Logbuch 1: Mein Leben – windschief und glänzend. Voller Freude schaute sie mich an und ließ mich wissen: Wir sehen uns bald wieder, ich komme zum Tag der offenen Tür am Tiny House.