Zum Hauptinhalt springen

Ich bin glücklich!

Es war Silvester. Sechs Freunde sollten abends in das Haus meiner Eltern kommen, um zu feiern. Meine Eltern waren die Gastgeber, aber die Vorbereitung des Essens fiel allein auf meine Mutter: Vorspeise, Suppe, Hauptspeise, Nachtisch plus „Neujahrskuchen“ für  Mitternacht. Sie machte sich ungeheuren Stress. Alles sollte „perfekt“ sein. Das Problem daran: Sie verglich ihr Tun sehr stark mit dem der Gastgeber der letzten Jahre. Wie war das Essen da? Wie war der Tisch gedeckt? Sie stand unter enormer Anspannung und war sehr negativ eingestellt. Immer wieder sagte sie: „Was ist, wenn es denen nicht schmeckt? Du kennst doch xy, der hat immer was zu meckern. Was ist, wenn der Wein nicht gut genug ist?“ Ich versuchte sie zu beruhigen und sagte ihr, wie lecker sie doch koche! Nachmittags schenkte ich meinen Eltern eine Stunde, in der wir gemeinsam Karten spielten. Dabei versuchte ich sie ein wenig aufzumuntern, was aber nicht wirklich gelang.Kurz bevor mein Vater mich zum Bahnhof bringen wollte, fand ich meine Mutter in der Küche.  Die Verzweiflung war ihr ins Gesicht geschrieben. Daß sie nicht anfing zu weinen, war alles. Ich fragte, was los sei. Sie hatte nachmittags das Lammfleisch schon gebraten und machte den Deckel auf. Das Fleisch war extrem zusammengeschrumpft und es sah wirklich wenig aus. Ihre Stimme zitterte und zeigte, dass sie mit den Nerven am Ende war: „Das reicht doch niemals. Das eine Stück kann xy schon alleine essen.“ Ich redete wieder auf sie ein und versuchte wirklich alles, um sie zu beruhigen: „Es gibt noch Fisch zur Vorspeise, ihr habt eine Suppe, es gibt Nachtisch UND Kuchen. Wer soll da denn nicht satt werden?“ Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass meine Worte gar nicht bei ihr ankamen, sondern einfach abprallten. Die Zeit drängte, ich musste wirklich los, um den Zug zu bekommen. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie ganz fest. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wann ich meiner Mutter das letzte Mal einen Kuss gegeben habe, aber ich legte meine Hände um ihr Gesicht, hielt es fest und gab ihr einen Kuss auf die Wange. So standen wir einige Sekunden, aber ich hatte das Gefühl, die Zeit bleibt stehen. Ich bat Gott, sie zu berühren, ihr wie bei einem Blick in den Spiegel zu sagen, dass sie unendlich geliebt ist und ihr wieder Ruhe zu geben. Als ich sie losließ, sagte ich mit einem Strahlen: „Ok. Lass uns wetten. Ich sage, das Essen reicht auf jeden Fall. Wenn was übrig bleibt – und ich mich freue, dass ich es essen darf – gibst du mir im Sommer einen Eisbecher aus. Wenn nicht, bezahle ich.“ Sie grinste.
Am nächsten Tag fragte ich: „Und? Bekomme ich im Sommer einen Eisbecher?“ Sie lachte und sagte: „Ja, eher zwei.“ Wir hatten unglaublich viele Rest und konnten weitere zwei Mal davon essen.

Es war ein schöner friedvoller Abend, den wir hatten verleben dürfen. Gegen Ende rastete plötzlich eines unserer Kinder aus - völlig unerwartet. Eine Cola-Flasche flog in den Weihnachtsbaum. Weihnachtskugeln zerbarsten... wir waren völlig vor den Kopf getreten. Mein Mann und ich schauten uns an und begannen zu tun, was gerade möglich war: Scherben fegen und Getränkepfütze beseitigen. Unser Kind saß mit verschränkten Armen, total in sich verschlossen in der Mitte unseres Tuns. In dem Augenblick war der Kleine nicht ansprechbar und schon gar nicht körperlich berührbar.
Als er dann im Bett war, bin ich nochmal zu ihm gegangen und habe ihn minutenlang im Arm gehalten. Tränen liefen bei ihm. Dann sagte er: “Ich kann doch nichts dafür! Ich wollte das gar nicht! Und ich hab Dich ganz lieb, Mama!” Den Kleinen in meinen Armen haltend, konnte ich einfach nur diese innerer Verzweiflung und Zerrissenheit mit ihm aushalten und ihm sagen, dass ich weiß, dass er uns liebt, das wir ihn genauso gern haben. Ich blieb lange noch bei ihm und konnte so durch mein Da-Sein inneren Halt schenken! Wie schön, in diesen Tagen erlebbar machen zu dürfen: “Du bist mein geliebter Sohn!”

Vor einiger Zeit hatte ich meiner Tante eine Lebensordnung vorgestellt, die für mich ausgesprochen erstrebenswert ist und die unter anderem das tägliche Lesen und Verinnerlichen des Evangeliums enthält. Gestern nun sagte sie in einem Telefonat, dass ich ihr Leben ganz schön durcheinander gebracht habe. "Wie das?" war meine erstaunte Frage. "Naja, mein Mann und ich haben wieder die Bibel hervorgeholt, lesen jetzt auch täglich das Evangelium und kommen darüber ins Gespräch. Eigentlich hatte ich mir mein Leben, mein christliches Leben, ganz bequem eingerichtet, mit sonntäglicher Messe und so, aber nach unseren Gesprächen habe ich gespürt, dass da doch viel mehr sein muss."

Seit zwei Wochen leben wir in unserer Pfarrei mit dem Wort „Herr, du kennst mich“. Ich versuchte achtsam zu sein und wollte entdecken, wie dieses Wort sich in meinem Leben realisiert. Doch mit den verstreichenden Tagen, in denen ich einfach nichts entdecken konnte, wurde ich leicht frustriert.

Letzten Dienstag mussten unserem Hund vier kleinere Geschwüre herausoperiert werden. Diese wurden dann eingeschickt um zu prüfen, ob sie bösartiger Natur sind. Ich betete und hoffte, dass dies nicht eintritt: „Herr, du kennst mich und weißt, was ich brauche.“ Der Befund, der mich dann aber am Freitag erreichte, war nicht erfreulich: bösartige Gewebe und es ist nicht klar, ob es schon Metastasen im Körper des Tieres sind. Für mich und meine Familie war das ein Schock. Unser Hund ist noch jung und so fit, dass wir uns noch auf viele Jahre mit ihm freuen. In der Trauer stieg auch die Frage in mir auf: Herr, kennst du mich wirklich? Ich wollte den Zweifeln keinen Raum geben und betete immer wieder.

Für die Sonntagsmesse hatte ich die Aufgabe übernommen, den Kindern zu helfen, mit ihren Kerzen keinen Kirchenbrand zu entfachen oder hinzufallen. Als ich aber am Morgen aufstand,
schmerzte meine rechte Hand so sehr, dass ich mir nicht sicher war, ob ich wirklich helfen konnte. Doch so kurzfristig absagen wollte ich unserem Pfarrer nicht. Diese Sorge musste ich aber nicht lange in meinem Herzen tragen, denn ein sms erreichte mich: „Guten Morgen, unsere Tochter würde Dir gerne helfen auf die Kinder auf zu passen. Wäre das o.k. für dich?“ – Und wie das o.k. war für mich!
Diese Erfahrung war mir Zeichen und Antwort auf meine Zweifel und Fragen, ob er mich denn wirklich kennt. Ja, ER kennt mich und weiß, was ich brauche. ER kennt auch unsere Situation mit unserem Hund und so kann ich jetzt wieder mit neuem Mut vorwärts gehen.