Erfahrungen
Ein reines Herz
Auf dem Weg nach Santiago war ich in einer Dorfkirche einer Kreuzesdarstellung begegnet, bei der Jesus mit der linken Hand ans Kreuz angenagelt, dem Betrachter die rechte Hand vom Kreuz her einladend entgegenstreckt. Aus dieser Darstellung hatten wir ein kleine Bild gefertigt und auf die Rückseite geschrieben: „Von den Kreuzen dieser Welt sagt dir Jesus. ICH BRAUCHE DICH!“ Eine Ordensschwester hatte diese Bilder unter ihren Mitschwestern verteilt. Als sie nachmittags eine der älteren Schwestern im Zimmer besuchte, wirkte diese sehr traurig. Auf Nachfrage erzählte diese Mitschwester: „Ich bin zu reich. Mein Geld trennt mich von Jesus!“ Vor dieser Schwester lag das kleine Gebetsbild. Jesus streckte seine Hand in diese Situation. Als die besuchende Schwester der Älteren erzählte, wo dieses Bild entstanden war, bat die Traurige: „Kannst du mein Geld dorthin geben?“ Schweigend reichte sie einen Briefumschlag , mit zwanzig Fünfeuroscheinen. „Wie schön, dass ich damit helfen kann, jetzt ist meine Seele wieder in Frieden!“
Vulnerabel
„Was wird das für mich selber bedeuten?“ frage ich mich morgens, als ich das Tagesmotto in die go4peace-App eintippe: „Setz ein Zeichen überbordender Liebe!“ Ich hatte fest geplant, beim Priestertag in meiner Bischofsstadt mit dabei zu sein. Doch dann erfahre ich, dass meine Mutter unerwartet ärztliche Hilfe braucht. Beim Anruf spüre ich sofort: Gott hat einen anderen Plan für meinen Tag ausgewählt. So fahre ich zu meiner Mutter. Wir verbringen den ganzen Nachmittag und Abend gemeinsam. Es gibt viel sauber zu machen und wieder herzurichten. Als ich eine Toilette sauber mache, gehen meine Gedanken zu meinen Mitbrüdern, die beim Priestertag sind. Später höre ich, der Bischof habe über das Kranken-Öl und über „vulnerable Personen“ gepredigt. Genau diesem Impuls war ich gefolgt, denen nahe zu sein, die Hilfe brauchen. Als ich mich von meiner Mutter verabschiede, spüre ich, dass wieder Friede und ein inneres Gleichgewicht in sie eingekehrt ist.
Ich brauche dich!
Einer älteren Ordensschwester hatte ich ein Foto geschickt, auf der Jesus am Kreuz mit der linken Hand angenagelt, die rechte dem Betrachter entgegenstreckt. Ich hatte dieses Motiv auf dem Weg nach Santiago gefunden. Viel Schweres hatte die Ordensfrau in diesen Wochen durchzumachen und es war nicht klar, ob ihre Ordensfamilie in dem Altenzentrum, in dem sie lebten, bleiben konnten. Lange hörte ich zu und ließ die Not tief an mein Herz. Am Ende kam die Ordensfrau auf das Foto zu sprechen. Sie hatte alle Exemplare verteilt. Ich ließ sie wissen: „Wir haben dieses Foto technisch ein wenig bearbeitet und professionell drucken lassen und auf der Rückseite ist jetzt zu lesen: ‚Von den Kreuzen dieser Welt sagt dir Jesus: ICH BRAUCHE DICH!‘“ Dieses Wort traf sie sehr. Mit tränenerstickter Stimme ließ sie mich wissen: „Das ist eine Gebetserhörung am heutigen Tag, denn ich spüre, wie sehr ich die Allerschwächsten hier im Haus liebe und ihnen nahe bin. Das ist mein Weg!“ Dann legte sie auf. Eine halbe Stunde später rief sie nochmals an: „Nur noch eins: Danke!“
Allein in der ersten Sitzreihe
Jahre hatten wir uns nicht gesehen. Meine Arbeitsstelle hatte gewechselt. Dann spielte uns das Leben in einer Arbeitsgruppe wieder zusammen. Nach drei Stunden gemeinsamer Arbeit war ein vertrautes Klima mit allen Teilnehmenden gewachsen. Mein Gegenüber schaute mich an. „Weißt du noch, damals als wir mit vielen junge Leuten nach Rom aufgebrochen sind?“ – „Erzähl mal weiter“, ließ ich ihn wissen. „Ich war in einer echten Krise und wusste als Jugendlicher nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Glaube und Kirche sagten mir nichts mehr! Aber dennoch bin ich mit nach Rom gefahren. Ich kannte kaum jemanden. Ich saß in der ersten Reihe im Bus und hoffte, dass sich keiner neben mich setzen würde. Und dann kamst du, setztest dich neben mich und wir kamen in ein ganz lebendiges, ehrliches, tiefes Gespräch. Du erzähltest mir ganz viele sehr persönliche Erfahrungen. Aber du hast mich total frei gelassen! Und das hat mir imponiert und mich echt berührt und neu fragen lassen! Heute bin ich wieder unter dem Horizont der Kirche unterwegs und mein Glaube bedeutet mir enorm viel!“
Regie führte ein anderer!
„Entscheide dich, glücklich zu sein!“ Dieses auf das Logbuch „Mein Leben – windschief und glänzend“ bezogene Modul, galt es an einem Samstag mit 22 Jugendlichen zu durchlaufen. Schon früh war ich aufgebrochen und eine lange Fahrt auf mich genommen. Der Kurstag begann. Zwei Mädchen war vom ersten Augenblick ihr Desinteresse anzumerken. Trotz Methodenvielfalt und persönlich eingespielten Erfahrungen störten sie immer wieder den Ablauf der gemeinsamen Zeit. Am Abend war ich relativ erschöpft und machte mich auf den langen Heimweg. Wie erstaunt war ich, am nächsten Morgen in den Rückmeldebögen zu lesen: „Wer erreicht werden will, ist erreicht worden und wer es nicht wollte, eben auch nicht. Man lernt viel, aber eben nur, wenn mal will. Mir hat es sehr gut getan!“ Und in einer weiteren Rückmeldung las ich: „Der Tag hat mir sehr geholfen, zu verstehen, wer Gott für mich ist. Dankeschön!“
Verliebt
Ich war zu einer Fastenpredigt mit dem Thema „er-lebt“ eingeladen. Über 200 Senioren hatten sich eingefunden. „Waren Sie schon mal verliebt?“ fragte ich zu Beginn und erntete ein breites Schmunzeln. Dann ließ ich die Zuhörenden wissen: „Gott ist verliebt in uns, seine Menschheit. Und jeder Verliebte, will bei dem Geliebten sein. So ist es der sehnlichste Wunsch Gottes, bei uns Menschen zu sein!“ Zuvor hatte ich allen ein kleines Foto gegeben, auf dem Jesus mit der linken Hand ans Kreuz angenagelt, dem Betrachter die rechte Hand entgegenstreckt. Dazu hatte ich die Zuhörenden verstehen lassen: „In jedem Schmerz und in jeder Dunkelheit streckt uns Jesus seine Hand entgegen. Denn er braucht uns!“ Und dann erzählte ich von einem Syrer aus Aleppo, der mich für einige Tage besucht hatte. Wir hatten lebendige Tage miteinander verbracht und die Not Syriens war mir vertieft nahe gekommen. Er bat mich um Hilfe für das Projekt „little dreams“, in dem 100 traumatisierte Kinder und Jugendliche ihre Traumata bearbeiten können, um wieder schulfähig zu werden. „In dieser Bitte habe ich die Hand Jesu erkannt, der sie nach mir ausgestreckt hat!“ sagte ich den Zuhörenden. Nach der Messe gingen einige der Senioren nach Hause, um mehr Geld zu holen, als sie mitgebracht hatten. Im Evangelium des Tages hatte es geheißen „und es geschah!“ Ich durfte miterleben, wie es auch heute „geschah“. Die Liebe des Verliebten hatte seine Geliebten berührt.
Ereignis
Nach einer Beerdigung traf ich eine Frau, die ich lange nicht gesehen hatte. Sie fragte nach, ob eine Erfahrung, die sie in einer christlichen Zeitschrift gelesen habe, von mir stamme? Nachdem ich bejahte, bat sie mich, die Erfahrung kurz zu umreißen. Ich war in den Religionskurs eines Gymnasiums eingeladen worden und hatte über das Thema Kirche sprechen sollen. Wir trugen zusammen, was uns zum Thema Kirche einfiel. Ich ermunterte die Jugendlichen, auch die negativen Aspekte nicht unter den Teppich zu kehren. Dann entdeckten wir gemeinsam, dass all diese Aspekte nicht der Kern der Kirche waren. Plötzlich fragte ein Mädchen: „Wir haben schon so viele langweilige Diskussionen geführt und heute ist das ganz anders. Woran liegt das?“ Ich bat ihr meine Deutung an: „Spürst du, wie engagiert wir zusammen sind und wie wir bemüht sind, ehrlich und nicht verletzend im Gespräch zu sein? Irgendwie ist das doch eine Form der Liebe. Und Liebe ist der Name Gottes. Und er hat uns versprochen, bei uns zu sein, wenn wir in seinem Namen, also in Liebe, vereint sind. Also: Er ist da – unter uns – ganz lebendig und das erfüllt auch dein Herz so sehr!“ – „Ja“, sagte meine Zuhörerin, „das stand in der Erfahrung, Kirche will immer mehr Ereignis des lebendigen Gottes werden, das hat mich seither begleitet!“
Ich blieb.
Am Ende eines Gottesdienstes kam eine afrikanische Mutter mit ihren drei Kindern. Die Älteste war gerade 6 Jahre alt geworden und hatte den Wunsch, dass ich sie noch segnete. So kniete ich mich vor das Kind, um mit ihm zu sprechen und die Kleine zu segnen. Zur gleichen Zeit kam ein mir unbekannter älterer Mann, der ein wenig verwahrlost ausschaute. Er sah, wie ich das Kind segnete und sagte dann laut: „Jetzt bin ich aber ganz gerührt und fange gleich an zu weinen!“ Dann ging die afrikanische Familie. Ich hätte sofort zu einem Anschluss Termin auf die Autobahn gemusst. Doch ich entschied, dem älteren Mann noch zuzuhören. Er erzählte mir von seiner Geschichte und war ganz verwundert, dass er in einer katholischen Kirche gelandet war. Als ich ihn nach einer Viertelstunde verstehen ließ, dass ich mich nun verabschieden musste, schaute er mich lange an und sagte: „Sie haben mir ein großes Geschenk gemacht, mir so lange zugehört zu haben. Ich fühle mich sehr geehrt. Danke!“
Brückenschläge
Einem inneren Impuls folgend, rief ich eine ältere Ordensfrau an. In dem Haus, in dem sie lebte, kümmerten sich sehr engagierte indische Schwestern um die alt gewordenen deutschen Schwestern. Sofort begann meine Gesprächspartnerin von einer der indischen Schwestern zu erzählen, die ihr die große Not einer befreundeten Familie anvertraut hatte. Die christliche Familie war wegen der Arbeit des Mannes in ein stark muslimisch geprägtes Land gezogen. Der Familienvater war der einzige Christ in seinem Unternehmen. Er war aufgrund seines Könnens sehr beliebt und geschätzt. Dennoch wurde ihm nach geraumer Zeit gekündigt, um die Stelle einem muslimischen Mitarbeiter anzubieten. Die Familie stand plötzlich mittellos auf der Straße. Von einem deutschen Familienvater, der mit seiner Familie ebenfalls in große Not geraten war und den ich begleiten durfte, hatte ich ein wenig Geld für Notleidende bekommen. Jetzt wusste ich, für wen ich dieses Geld bekommen hatte. Beim nächsten Anruf weinte die indische Schwester vor Freude am Telefon.
Die große Gegenwart
„Traurige Nachricht“ – lese ich in einer Mail. Unvermutet ist eine junge Frau aus dem Leben geschieden. Die folgenden Tage sind von Fassungslosigkeit, Unbegreifbarkeit, Tränen und viel geteiltem Leben geprägt. Ob ich die Beerdigung halten könne, lese ich als Frage. Ich sage zu. In aller Unwirklichkeit, die die Situation auch eine Woche nach dem Tod noch prägt, gelingt und geschieht eine hoffnungsgestimmte und tragende Auferstehungs-Feier. Beim anschließenden Kaffee setze ich mich zu jungen Studentinnen aus der WG der Verstorbenen. Sie beginnen zu erzählen. „Niemand konnte so gut zuhören, wie unsere Freundin. Wenn ich ihr etwas erzählt habe, dann war sie immer ganz da. Sie schaute nie auf die Uhr, so dass Zeitdruck aufkam. Ich hatte den Eindruck, sie ist dann ganz für mich da. Und so konnte ich ihr viel Persönliches anvertrauen!“ Wie auf dem Tabor, dachte ich. Jesus war im Gebet ganz präsent. Er war ganz da. Und in dieser im Augenblick verwurzelten Präsenz, ist Gott – in der Wolke – auf einmal da - mit allem was war und ist und sein wird. Ein Licht erstrahlt, in dem alles in Liebe verbunden ist. Und neben dem verborgenen Gott, so mein Eindruck, sind auch die da, die schon über die Schwelle des Todes gegangen sind und mit uns verbunden bleiben.