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Wie sollte ich mit diesem Schlag fertig werden?

Es war Sommer 2011. Ich war mit einigen guten Freunden nach Lloret de Mar in Spanien gefahren. Wir hatten eine richtig tolle Zeit - viel Party. Es wäre alles perfekt gewesen, wenn da nicht dieser Anruf meiner Mutter gekommen wäre. Er kam am letzten Tag. Meine Mutter schien völlig aufgelöst zu sein. Ich sagte: „Mama, beruhige dich, sag doch was los ist!“ Dann brachte sie’s raus: „Deine Schwester hatte einen Autounfall und ihre Freundin ist dabei ums Leben gekommen!“ Das traf wie ein Schlag! Ich konnte das irgendwie nicht fassen, alles schien wie ein böser Traum. Ich fühlte mich total überrumpelt. Kurz zuvor war ich noch sorglos durch die Partyszene von Lloret gewandert und dann diese Botschaft! Ich fiel aus allen Wolken. Ich wollte es einfach nicht wahr haben! Sollte ich so schnell aus der Schönheit und Buntheit des Lebens in irgendwie total Schweres und damit auf den ‚Boden der Realität‘ geholt werden?

Meine Rückreise war ein absoluter Albtraum. Ich habe versucht, meine Lage zu überspielen und meine Freunde haben die Situation auch noch nicht wirklich verstanden. Aber es sollte noch schwerer kommen: In der Nacht nach dem Unfall bekam meine Schwester noch einen schweren Schlaganfall. Eine angerissene Halsschlagader war übersehen worden. Diese Tatsache sollte vor allem das Leben meiner Schwester dramatisch verändern, und natürlich hat es auch mich und unsere Familie sehr verändert.

Was hat mir geholfen, in diesen schweren Tagen weiterzugehen und nicht zu verzweifeln? Letztlich war’s wohl der Glaube an eine höhere Macht, an irgendeinen Sinn, der sich hinter all den schrecklichen Dingen, die auf der Welt – und eben auch in unserer Familie - geschehen und geschehen sind, verbarg. Dieser Glaube hat uns geholfen, diese neue Wirklichkeit anzunehmen und sie zusammen durchzutragen. Aber an ein „Verstehen“ war nicht zu denken! Es war reiner Glaube!

Jeden Sonntag gehe ich zur Kirche. Immer wieder hab ich mich gefragt, was ich da überhaupt soll und was es mir bringt. Meine Eltern sagten mir häufiger. „Wenn du treu bleibst, wirst du irgendwann dankbar sein!“

Die Wende kam, als ich einem Priester zuhörte, der von seinen Erfahrungen mit dem Evangelium erzählte – immer neu und total konkret! Die Dynamik, die er mitbrachte, hat mich direkt gepackt und ich war so interessiert an seinen Erfahrungen. Zum ersten Mal konnte ich etwas mit dem Wort „Glauben“ anfangen. Und dann ging eins ins andere über. Die Tatsache, dass wir endlich einen Pfarrer hatten, der uns zeigt, was es bedeutet zu glauben, hat mir den Mut gegeben, ihm eine Mail zu schreiben. Denn ich war wirklich verzweifelt! Ich hab ihm die Situation unserer Familie geschildert und wartete dann auf ein paar nette Worte. Aber es kam anders!

Er war so berührt von unserem Schicksal und hat unser Leiden geteilt. Er ist dann sogar mit uns in ein entfernter liegendes Krankenhaus zu meiner Schwester gefahren, die gerade erst aus dem Koma erwacht war. Ich war total beeindruckt, wie ein Mensch die konkrete Liebe so bedingungslos lebt. Das hat mir einen ganz neuen Einblick ins Leben eröffnet. Mich hat das so berührt, dass ich mir diesen Lebensstil zum Vorbild genommen hab. Leicht ist das nicht, wirklich ALLE zu lieben, aber es ist eben der Lebensstil Jesu gewesen. Was ich dabei gelernt habe? – Nun, jeden zu lieben bedeutet nicht gleich, jeden zu mögen. Aber es heißt: Ich will lernen, ohne Vorurteile auf Menschen zu zu gehen und ich will ehrliches Interesse an ihnen zeigen! Und ich kann Euch sagen, diese Art zu leben, bringt wunderbare Augenblicke hervor. Sie lässt dich Menschen in einer Tiefe entdecken und kennen lernen, was dir bei einem oberflächlichen Lebensstil versagt bleibt!

Es ist immer neu ein Schritt, das eigene Leben zu überdenken und das, was schief gelaufen ist, anzuschauen und anzunehmen. Dieser innere Schritt, den ich jedem nur empfehlen kann, weil er zu einer echten versöhnten Dankbarkeit führen kann, ermutigt uns, Menschen wirklich zu begegnen und damit selber „ehrlich engagiert“ zu werden.

Bei allem Schweren, bin ich so dankbar für all die Erfahrungen, die ich dank unseres Priesters habe machen können, sei es eine Fahrt zu einem Taizé-Treffen nach Schweden oder zu einer Fazenda da Esperanca, sei es in ein Friedenscamp nach Bosnien oder zum kommenden Weltjugendtag in Rio. In der Vorbereitung auf dieses Ereignis – innerhalb eines Jahres treffen wir uns an fünf Wochenenden - hab ich schon so tolle Menschen kennen gelernt, dass ich mich sehr auf die gemeinsame Zeit freue. Zum Schluss noch ein kleiner Impuls, um auch in schweren Zeiten - wenn Zweifel hochkommen - nicht in den eigenen Gedanken zu verkümmern und zu verbittern: „Glauben ist verdammt schwierig! Konkret zu lieben ist dagegen so einfach!“

Niko