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Versöhnung durch Liebe, nicht durch Hass

Am letzten Tag unserer Wallfahrt in Lourdes kommen nach der Abschlussmesse am frühen Morgen drei fremde Franzosen in unser Hotel, ein Mann und zwei Frauen. Sie wollen den Weihbischof sprechen, der die heilige Messe an der Grotte gefeiert hat. Es stellt sich heraus: Der Mann ist ein ehemaliger französischer General. Die beiden Frauen sind Töchter von ehemaligen französischen Soldaten. Der General und die Soldaten waren fünf Jahre in Deutschland nach dem Krieg in Soest in Gefangen-schaft geraten und die beiden Soldaten waren dort gestorben.

Die drei beginnen ihr Gespräch damit, dass sie mir sagen, dieser Moment der Begegnung mit mir würde für sie ein wichtiger Tag für sie sein. Viele Jahre hätten sie die Deutschen gehasst, weil sie viel Leid von ihnen erlitten hätten; wichtige Jahre ihrer Jugend seien verlorengegangen, die Töchter hätten ohne Vater aufwachsen müssen. Aber trotz dieses Schmerzes, so berichteten mir die Gesprächspartner, habe ihr Pfarrer ihnen immer wieder gesagt: „Wenn ihr wirkliche Christen seid, dann wisst ihr, Gott ist Liebe, nicht Hass. Ihr müsst zur Versöhnung kommen.“

Lange wäre das für sie unmöglich gewesen, so erzählten sie. Mehr und mehr aber seien sie in ihrem Hass unsicher geworden, bis sie begriffen hätten, dass nicht ihr Hass Zukunft hätte, wohl aber die Versöhnung in der Liebe. Heute nun seien sie gekommen, um das vor mir auszusprechen. Sie möchten sich mit den Deutschen versöhnen; der Hass sei endgültig überwunden, und sie bäten mich, diese Nachricht mit nach Deutschland zu nehmen und sie besonders auch den Bürgern der Stadt Soest mitzuteilen.

Menschen hatten Unrecht erlitten, schweres Unrecht. Nach menschlichem Ermessen hätte das Vergeltung gefordert. Das wäre verständlich. Aber Vergeltung hätte neues Leid, neuen Schmerz bedeutet -  und das hätte wiederum nach Vergeltung und Schmerz gerufen: Eine Kette von Leid ohne Ende. Das haben diese Menschen verstanden. Nicht Hass kann Schmerz und Trauen befrieden, wohl aber die Liebe.

Es ist die Botschaft unseres christlichen Glaubens, die mit dieser Wahrheit ernst macht. Sie stellt es nicht nur verbal in den Raum, sondern der Herr der Kirche hat sie persönlich vorgelebt. An diesem Morgen spürte ich eine große Dankbarkeit und Freude, aber auch eine große Verpflichtung.

+ Manfred Grothe

Weihbischof in Paderborn

Weihbischof Manfred