Skip to main content

Das Wort hat Wort gehalten!

Was bedeutet mir das Wort Gottes, das Evangelium, für meine Leben?

So lange ich denken kann, habe ich als „praktizierender“ Katholik ein kirchliches Leben geführt. Zu einer wirklich persönlichen Anrede wurde das WORT für mich aber erst während der Jahre der Priesterausbildung in den 70-er und 80-er Jahren. Unvergesslich ist mir bis heute die überwältigende Stille eines Wüstenaufenthaltes auf dem Sinai während meines Studienjahres in Jerusalem. Dort erfuhr ich sehr physisch, dass das WORT nur in der Stille und im Schweigen empfangen wird. An jedem Weihnachtsfest denke ich dankbar an diese Erfahrung zurück, wenn es in der Liturgie heißt: „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges WORT vom Himmel, vom königlichen Thron herab…“ (Weish 18:14). Und seit dieser Erfahrung suche ich regelmäßig Tage des Schweigens und Orte der Stille, um das WORT wieder neu zu empfangen.

Obwohl ich in bestimmten Situationen meines Weges das WORT an mich sehr deutlich und unverwechselbar vernommen habe und noch immer vernehme  – meinen Weg als Jesuit habe ich nur auf SEIN WORT hin beginnen können – gab und gibt es auch Jahre und Monate, wo ich sehr unter der Zerstreuung im Alltag leide und die Fokussierung auf das WORT deutlich zu wünschen übrig läßt. Gerade in diesen Zeiten aber wächst mein Hunger nach dem WORT spürbar. Umso beglückender ist es dann für mich, wenn es plötzlich und unerwartet zu einer Begegnung mit dem WORT kommt, sei es in der Stille der Kammer, sei es in einer menschlichen Begegnung. Nicht selten halte ich beim Beten des Stundengebetes der Kirche dankbar Rückschau auf diese Überraschungen im Alltag durch das WORT, wenn es da heißt: „Kamen Worte von dir, so  verschlang ich sie; DEIN WORT war mir Glück und Herzensfreude“ (Jeremia 15,16)

Für meinen priesterlichen Dienst ist das Thema Menschwerdung zentral. Auf Menschen am Rande der Gesellschaft zuzugehen, kostet mich, wenn ich ehrlich bin, immer Überwindung. Und doch habe ich gerade in Begegnungen mit Armen und Kranken, Trauernden, Flüchtlingen und Drogenabhängigen erstaunliche Erfahrungen der Nähe Gottes gemacht. Das WORT führt mich zum FLEISCH und das FLEISCH zum WORT. Das WORT ist kein ideologischer Überbau, keine fromme Schablone, mit der wir uns die Wirklichkeit zurechtlegen, damit sie uns nicht weh tut. Nein, das WORT ist Fleisch geworden und lebt unter uns. WORT und FLEISCH, Bibel und Alltag, interpretieren einander.

Wie lebe ich konkret in meiner Alltäglichkeit mit dem Wort Gottes?

Ich liebe das Stundengebet (Laudes und Vesper) und die tägliche Eucharistie. Wenn mir beim täglichen Gebet und der Lektüre geistlicher Texte ein Vers oder Satz eine Begegnung mit dem WORT schenkt, dann unterstreiche ich diesen Text mit roter Tinte.

Eine Zeitlang – meine „Wanderjahre“ – habe ich mit großer Begeisterung ganz persönliche Melodien zu einzelnen Bibelversen erfunden, um sie so besser zu behalten. Bis heute begleiten mich diese Vertonungen, besonders auf Reisen und Spaziergängen. Einer dieser Verse handelt von der Bedeutung des WORTES und gibt eine für mein Leben wichtige Erfahrung wieder, die ich immer wieder habe machen dürfen. In einer Schwesternkapelle des Maison d’Abraham in Jerusalem, in der ich nach einem heißen Tag Zuflucht gefunden hatten, fand ich, hungrig nach dem WORT, in einer Bibel, die einer Schwester gehörte, folgenden Vers aufgeschlagen: “Si vous demeurez dans ma PAROLE, vous serez vraiment mes disciples, vous connaîtrez alors la vérité et la vérité vous rendra libres” (Jn. 8,31-32).[ „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“.] Dieses „im WORT bleiben“ ist seitdem einer der Fixsterne meines geistlichen Lebens.

Eine kleine Erfahrung mit dem gelebten Wort

Auf dem Höhepunkt des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche breitete sich unter nicht wenigen Kirchenleuten eine große Angst aus. Nicht wenige Kirchenleute fürchteten für den guten Ruf der Kirche und suchten nach einer Verteidigungsstrategie. Als damaliger Provinzial eines leider in beschämender Weise in diesen Skandal verwickelten Ordens waren mir diese Angst und Sorge sehr vertraut. Und doch stellte sich ganz früh bei mir das WORT ein, das mir in Jerusalem geschenkt worden war: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“. Das WORT hat mich und mein Handeln in den dann folgenden stürmischen Monaten begleitet und geleitet. Dankbar und frei stelle ich heute fest: Das WORT hat WORT gehalten. Und auch jetzt, wo ich RENOVABIS, die Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa leite, habe ich oft an das WORT der freimachenden Wahrheit denken müssen, denn die „Wende“ wäre ohne dieses WORT nicht geschehen. Davon bin ich überzeugt.

Stefan D. SJ

Stefan