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Plötzlich und unerwartet

Sie war aufgestanden und aus dem Haus gegangen – völlig unerwartet. Dann hatte sie sich in einen nahen Fluss gestürzt. Als sie gefunden wurde, kam jede Hoffnung zu spät. Ich saß bei ihrem Mann – beide schon über 80 Jahre alt. Fassungslosigkeit und Verzweiflung im Raum. Wir sprachen lange und bereiteten miteinander die Beerdigung seiner Frau vor. Er kam aus einem südlichen Land und fühlte sich jetzt – trotz vieler Freundschaften – sehr allein.

Der Tage der Beerdigung war gekommen. Wir trafen uns auf dem Friedhof. Ich war schon früh hin gefahren, um jeden einzelnen zu begrüßen und ein Klima der Familie aufzubauen. Trotz des Schweren und Unsagbaren, war viel ehrliche Nähe und Empathie zu spüren. Der Beerdigungsritus half uns, diese Minuten zu leben und zu gestalten. Es gelang – trotz des lastenden Dunkels – mehrmals zu lachen. Am Ende des Ritus hielten wir zu einer Arie von Andrea Bocelli noch ein paar Augenblicke dankbarer Stille. Plötzlich stand der Ehemann der Verstorbenen auf und ging an den Sarg. Er fasste ihn mit beiden Händen an und schüttelte ihn voller Verzweiflung. Er wollte seine Frau nicht gehen lassen. Zu frisch war alles. Ich ging zu dem alten Mann und legte behutsam meinen Arm um ihn. Ich spürte sein Zittern und Beben. Er weinte bitterlich. Ich drückte ihn fest an mich heran. 4 Minuten dauerte die Arie – eine Ewigkeit. Kurz vor ihrem Ende drehte er sich mir zu, schaute mich an und sagte: „Danke, dass Du jetzt für mich da bist!“ Es war einen Tag vor Weihnachten. Ich begriff das Weihnachtsgeheimnis neu: Gott bittet in dem wehrlosen Kind um unsere Nähe. Und wenn wir sie ihm in jedem auf Hilfe angewiesenen Menschen schenken, sagte er, der verborgene Gott: „Danke, dass Du jetzt für mich da bist!“