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Mosaik der Brückenschläge

In den vergangenen Tagen habe ich viele Briefe geschrieben an Menschen, von denen ich weiß, dass sie allein sind. Ich bekomme jetzt Anrufe, die mir die große Vielfalt der schmerzlichen Verluste zeigen: Da ist die 91jährige Tante, die in einem Zimmer im Seniorenheim lebt. Keine Besuche, keine Treffen sind möglich. Sie ist zufrieden „ich bin doch kein Baby mehr, ich habe den 2. Weltkrieg überstanden, ich werde auch dies überstehen. Und außerdem bin ich gut aufgehoben.“.Sie wird von Pflegepersonal gut versorgt und hat überhaupt noch nichts von den vielen Todesfällen in Altenheimen gehört. -Eine 84jährige Tante, die ansonsten immer fröhlich und voller Tatendrang ist, weint bitterste Tränen. Sie hat eine Wohnung in einem Haus für Betreutes Wohnen. Tochter und Sohn dürfen sie nicht besuchen. Geben kleine Geschenke und auch Essen ab. „wie einem Hund wird das vor die Tür gestellt“. Dann kommen die erwachsenen Kinder und Enkel vor den Balkon, sie können sich zuwinken und anlächeln. Aber ein intensives Gespräch ist nicht möglich. „Sobald sie eine Stimme hören, kommen die Nachbarn auch auf den Balkon und hoffen, dass es für sie ist. Die warten ja alle.“

Meine Flurnachbarin ist traurig. Ihr Mann hatte im November einen schweren Schlaganfall, ist völlig bewegungsunfähig, muss künstlich beatmet und ernährt werden. Nachdem er 5 Monate im Krankenhaus war, ist er seit 1 Woche in einem Pflegeheim ganz in der Nähe. Aber sie kann ihn nicht besuchen. Kann nicht einmal durch die Tür schauen, um ihn zu sehen. Der 6jährige Jonas aus meiner Nachbarschaft, der traurig auf dem Balkon steht und auf den abgeriegelten Spielplatz schaut. Er vermisst den Kindergarten und seine Freunde. Die Studentin, die in Bochum studiert und ihre Mutter und ihre Oma in Bad Doberan nicht besuchen darf, weil Mecklenburg-Vorpommern die Grenzen dicht gemacht hat. Ihren Nebenjob in einem Restaurant musste sie aufgeben, und gerät deshalb in finanzielle Engpässe.

Die Eltern, beide im Homeoffice, die ihre 3 Kinder, alle Gymnasiasten, betreuen müssen. Es wird schwierig, weil den Kindern einfach Bewegung und Freunde fehlen. Andererseits berichten sie von einem ganz neuen Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Kinder lernen kochen, es werden Gesellschaftsspiele gemacht und im Freundeskreis hat sich ein „Päckchen-Kreis“ gebildet. CDs, DVDs und Bücher werden eingepackt und einer anderen Familie mit einer kleinen Karte vor die Tür gestellt. Selbst haben sie auf diesem Weg ebenfalls CDs, Bücher, eine Tüte Mehl und ein Päckchen Trockenhefe, und sogar eine Rolle Toilettenpapier bekommen. Und dann sind da noch die drei Ordensfrauen. Sie berichten, dass sie sich in ihren Kommunitäten sehr gut aufgehoben fühlen. Überall gibt es dort noch Heilige Messen, sie beten zusammen, schreiben Briefe  und nähen teilweise Schutzmasken für Altenheime.

Viele Schicksale, viele Gespräche. Und nach jedem Gespräch fühle ich erneut die Vielfalt des Lebens, die uns in „normalen Zeiten“ so manches Mal verloren geht.